Elementarskulptur

Atelier

Nachdem man mich überredet und ich wider aller Vorsätze das erste Staatsexamen abgelegt hatte, nachdem mein Studium somit vorbei war, bezog ich für einige Zeit ein Atelier in der Domagkstraße. Der Raum, den ich inne hatte, lag im ersten Stock, war wunderschön, etwa vier Meter hoch zum Gang hin, mannshoch zum Innenhof hinunter und dort mit einer Fensterreihe über die ganze Breite versehen. Der Hof war mit rissigen Betonplatten belegt und kniehoch von Unkraut überwuchert. Das Gelände war von unzähligen gleichförmigen Häusern bestanden. Viele bildeten eine U-Form. In manchen Höfen lagerte Schrott, in anderen parkten noch Armeefahrzeuge. Die Mischung machts, sagt man flachsend. Aber in diesem Fall hatte sich die Absurdität in luftige Höhen gesteigert.Mein Raum maß etwa 40 m². Das wurde später für mich zu einem Eichmaß, zu einer Wunschgröße. Natürlich konnte ich auch in einem feuchten Kellerzimmerchen arbeiten oder sogar auf dem Küchentisch zeichnen. Dennoch fühle ich mich sowohl von kleineren, als von größeren Räumen erdrückt.

In diesem Atelier arbeitete ich wenig, frönte jedoch, wie soll ich es anders sagen, der Muße. Meine unbequeme, aufklappbare Armeepritsche stand neben der Heizung, ich fläzte mich darauf und las die Wahlverwandtschaften. Das blieb mir deshalb so in Erinnerung, da ich kurz vorher die schwarz-weiße Kopie eines nicht besonders deutlichen Fotos gesehen hatte mit dem Titel: Che Guevara liest Goethe in einem Schweinestall. Man erkannte nicht viel darauf, gerade so die unverwechselbare Mütze und das markante Gesicht. Vielleicht beeindruckte mich besonders diese Tatsache. Ein bärtiger Mann mit Kappe liegt in einem Koben im Matsch und liest.

Rückseite

Während ich die abgebildete Plastik entwarf, ging ich die bekanntesten Personen der Zeitgeschichte durch. Sie alle klopfte ich daraufhin ab, ob sie sich zusammen mit einer zweiten als maximales Gegensatzpaar nutzen lassen. Dabei fand ich heraus, dass mich zu dieser Zeit der Universalgeist, der alles in sich vereint, jedoch sich selbst nicht widerspricht, nicht interessierte. In der Gegenüberstellung extremer Positionen, dachte ich damals, konnte sich das weiteste Panorama öffnen. Zusammengebunden und repräsentiert wären die Figuren durch die gleiche Form der Kästen. Die Portraits bilden die Quelle der Skulptur. Zugleich behielt ich die Bienen im Blick und fragte mich, was deren Verbindung zu ihnen war. Daher nahm diese unsichtbare Arbeit, die lange nur zu erahnen war, am meisten Zeit in Anspruch.

Ich lungerte im Atelier herum und dachte nach. Schließlich landete ich bei Galileo Galilei, den die katholische Kirche erst drei Jahre zuvor rehabilitiert hatte, im Jahr 1992, also 350 Jahre zu spät. Galilei gilt als ein Begründer der modernen Naturwissenschaften. Das Leben des Galilei liest sich wie ein Abenteuerroman. Als sein Gegenüber fiel mir, der christlichen Legendenbildung folgend, Franz von Assisi ein. Ich hatte die von Giotto ausgemalte Kapelle in Padua besucht, bevor sie restauriert wurde, und wusste um die berühmte Basilika in Assisi.

Damals entwarf ich die Skulptur, um an einem Wettbewerb teilzunehmen. Er war für einen Garten ausgelobt worden. Das war ungewöhnlich und reizte mich. Als ich den Entwurf hinschickte, rechtzeitig, bekam ich als Antwort die Frage, was mir im Sinn liege, was ich sozusagen überhaupt wolle, da doch die Sache längst gelaufen sei.

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