2009

Meister, die Imme ruft

Die Blätter, obwohl es wenige sind, dienten als Vorentwürfe zu einer großen Arbeit. Sie sind vorsorglich so gehalten, dass sie auch eigenständig durchgehen können. Wahrscheinlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ich kaum Zeit erübrigen konnte und mir für ein großes Projekt die Puste ausging. Außerdem war ich mit anderen Belangen beschäftigt. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag in der Hängematte gelegen. Als ich die Skulptur entwarf, hatte ich den Rosengarten selbst im Sinn; wie man sagt: ein Heimspiel. Dort sollten einige Stahlmasten aufgestellt werden, dann wollte ich ausgemusterte, ehemals ostdeutsche, blecherne Lautsprecher auftreiben, solche, die der Infiltration durch sozialistische Parolen gedient hatten, und sie daran schrauben. Und aus denen sollte Bienensummen erschallen, live aus einem meiner Stöcke dort übertragen.

Um die Genehmigung durch die Stadt beziehungsweise das Baureferat, Abteilung Gartenbau machte ich mir weniger Sorgen. Die Stadt zeigt sich Konzepten dieser Art durchaus aufgeschlossen. Allerdings hätte ich Geld benötigt, ein auf das Vorhaben bezogenes Stipendium, und das gab es nicht. Das Projekt war nur vorübergehend gedacht. Es sollte vielleicht einen Sommer umspannen.

Wilhelm Busch gilt als Großvater oder Urgroßvater des modernen Comics. Er wurde als Kind einem Onkel, der Pfarrer und Imker war, zur Erziehung anvertraut. Dort erhielt er Privatunterricht. In Buschs Bildergeschichten sind die Bienen oft am Rande eingeflochten. Dann wird mit weitgehender Detailkenntnis erzählt. Einmal sind sie auch Hauptthema. Die Bienen sind jedoch vermenschlicht. Die erwähnte Geschichte ist übrigens weniger sadistisch, als die meisten seiner sonstigen, vielleicht weil die Bienenstiche den Part der Grausamkeit übernehmen: Es geht um einen Imker namens Dralle, der nachmittags einschläft. Währenddessen schwärmen seine Bienen und lassen sich genau auf jenem Baum nieder, unter dem er döst. Schließlich wird er durch den Ruf des Nachbarjungen rüde aufgeweckt, versucht die Bienen einzufangen, die Leiter bricht und so weiter. Die Bienen fliegen fort und er verfolgt sie durch die gesamte Ortschaft bis in den Wald und zurück.

Busch studierte Malerei an den Akademien in Düsseldorf, Antwerpen und München, verfolgte sein Studium aber planlos und ließ sich hauptsächlich treiben. Er hatte im Sinn, ein ernsthafter Kunstmaler zu werden, erreichte aber weder die nötige Anerkennung, noch brachte er das erforderliche Durchhaltevermögen auf. Als Zeichner seiner derben (manchmal antisemitischen) Bildgeschichten erlangte er Berühmtheit und kam schließlich zu Wohlstand. Im Jahr 1857, offenbar als es für ihn in beide Richtungen nicht zufriedenstellend verlief, wollte er alles hinwerfen, nach Brasilien auswandern und Bienen halten.

Ich hielt die Konstellation, dass man nachmittags unter einem Baum schlummert und über einem Bienensummen ertönt, für beschaulich.

Die nacherzählte Geschichte ist Schnurrdiburr oder die Bienen. Auch da geht es nicht zimperlich zu. Doch Die kleinen Honigdiebe, die einen Korb umgekippt haben, um Honig zu stehlen, bekommen enorme Stachel vom Schmied mithilfe einer Kneifzange aus den Backen gezogen. Ihre Gesichter sind zu unförmigen Klumpen angeschwollen.

Die Anekdoten entstammen annähernd der gleichen Zeit wie der Struwwelpeter des Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann. Nicht konformes Verhalten von Kindern zeitigte maßlos drastische Folgen.

Categories: 2009

„Wo man hinschaut, nichts als Gegend“

Die Bilder mit der Geschichte von Donald Duck, der sich einen Bienenstock in den Garten holt, und seinen neugierigen Neffen, denen er damit eins auswischen will, hatte ich bereits gescannt und ausgedruckt. Doch mir kam wieder eine andere Arbeit dazwischen. Bei dieser hier tat es mir leid, dass ich sie nicht ausführen konnte. Natürlich wollte ich die Bilder frei anordnen. Die Geschichte wäre dadurch nicht erzählerischer geworden als im Original, aber weniger streng. Ein Heft zwingt durch seinen festgelegten Seitenaufbau den Zeichner in ein Schema, und das wollte ich vermeiden.

In diesem Fall war der Zeichner natürlich der legendäre Carl Barks, der in Erika Fuchs eine wertvolle Übersetzerin fand (siehe: Überschrift). Er hatte fast alle der Nebenfiguren, die in den Duck-Heften vorkommen, erfunden. Sein späteres Statement lautete: “I always felt myself to be an unlucky person like Donald, who is a victim of so many circumstances. But there isn‘t a person in the United States who couldn‘t identify with him. He is everything, he is everybody; he makes the same mistakes that we all make. He is sometimes a villain, and he is often a real good guy and at all times he is just a blundering person like the average human being, and I think that is one of the reasons people like the duck.”

Das Projekt sollte eine Nitrofrottage werden. Das ist die Drucktechnik, in der ich, als mir ein entsprechender Schwarz-Weiß-Kopierer zur Verfügung stand, zahlreiche Arbeiten anlegte. Die vorausgehenden Scans sind daher seitenverkehrt abgebildet. Aber leider sieht man nichts darüber hinaus. Die Kopien liegen seither in einer Schublade.

Ich fragte mich, ob eine Arbeit an Aktualität und Bezug zum eigenen Leben verliert, wenn man an ihr vorbei altert.

Categories: 2009

senza titolo

Gemeinschaftsausstellung in der Rathausgalerie, München

Im Münchner Rathaus sollte die Abschiedsausstellung für einen rührigen Kulturreferenten stattfinden, der in Rente ging. Alle Künstler, die im Rathaussaal unter seiner Ägide ausgestellt hatten und auffindbar waren, sollten repräsentiert sein. Von diesen Künstlern erstellte wiederum ein anderer, der sich zunächst als Bildhauer verstanden hatte und jetzt Videos drehte, eine knapp hintereinander geschnittene, endlos lange Reihe von Kurzportraits. Der Mann rief mich eines Tages an und wollte mich quasi sofort im Atelier besuchen. Dann rief er erneut an und hatte es sich anders überlegt, weil ihm der Weg aufs Land zu weit war. Er kam in die Münchner Wohnung, wo jedoch kaum Arbeiten lagerten. Er hatte mich aufgefordert, einige Gedanken zu entwickeln, was er in seinem Film zeigen sollte. Danach rückte er mit einer winzigen Kamera an, hatte es furchtbar eilig und wollte eine ganz andere Vorstellung von mir, als die, welche ich mir ausgedacht hatte. „Brauchst du kein Stativ?“, fragte ich. Ich hatte naive Vorstellungen betreffs der Möglichkeiten heutiger Technik. „Diese Kamera kann alles“, antwortete er großspurig. Doch als ich das Ergebnis sah, gelangte ich zu der Ansicht, dass es damit doch nicht so weit her war, und ich dachte: Mein Daumennagel kann mehr als diese technische Miniatur.

Meinem Widerwillen, selber als Person in Erscheinung zu treten, gab er nicht nach, was ich damit konterte, dass ich keinerlei Arbeiten herausrückte, die er abfilmen konnte. Schließlich griff er sich ein Honigglas und hielt es ins Sonnenlicht, und er stöberte ein paar plastische Kleinigkeiten auf, die herumlagen.

Categories: 2009

film still

Der erste und womöglich einzige selbst gedrehte Film

Sobald jener Mann, der für das Rathaus in meinem Zimmer herum gefilmt hatte, gegangen war, drehte ich selber einen Film von acht Minuten: Mein dick verrußter Schmoker, den ich bei den Bienen einsetzte, qualmt bei weit geöffnetem Fenster vor sich hin. Er ist der Hauptdarsteller. Dazu hört man einfach Straßengeräusche, Autos, die über das Kopfsteinpflaster rumpeln, Fußgänger, die sich lautstark unterhalten. Zwischenzeitlich rückt die gesamte Brigade einer Feuerwache in der Nähe aus, diesmal anscheinend mit allen Fahrzeugen, was einen Höllenlärm verursacht und mich fürchten ließ, dass sie wegen mir kamen. Doch sie zogen weiter und das an- und abschwellende Geräusch der anrückenden und sich entfernenden Sirenen (Dopplereffekt) ist die perfekte Klangkulisse.

Categories: 2009