Monat: August 2011

missing link

Auszüge aus einem Vortrag über Honig

Ab etwa Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der Ausdruck missing link geprägt und wurde kurz darauf zu einem feststehenden wissenschaftlichen Begriff. Er bezeichnet eine noch unentdeckte fossile Übergangsform zwischen entwicklungsgeschichtlichen Vor- und Nachfahren. Ihre Existenz besteht als evolutionstheoretische Hypothese und sie würde eine Lücke im Fossilbericht schließen. Von einem missing link spricht man, wenn das Verbindende, das man sucht, noch nicht gefunden ist. Der Fund hat Mosaikcharakter, er zeigt Merkmale sowohl der älteren als auch der jüngeren Form. Daher spricht man anschließend vom connecting link. Darwin und seine Vorgänger suchten nach dem Beweis, dass Mensch und Affe verwandt sind. Für eine direkte Abstammung lässt sich kein Bindeglied finden. Indessen gibt es einen gemeinsamen Vorfahren, den Menschenaffen, von dem wenige Exemplare leben. So lernten wir es in der Schule. Auch Bienen und Wespen sollen einen weit entfernten gemeinsamen Vorfahren haben. Es wird vermutet, die Bienen seien ursprünglich Fleischfresser gewesen, und sie sollen anschließend auf vegetarische Ernährung umgestiegen sein.

Zwischen den Pflanzen, den Bienen und den Menschen gibt es eine Mitte. Das gefundene Bindeglied ist der Honig. In unserem Fall ist der Stadthonig die Verbindung zwischen den Stadtbewohnern und dem städtischen grünen Raum. Honig zu essen, das wurde mir klar, vertieft das Interesse. Die Biene ist das Gelenk und der Honig die Anfütterungsspur für den Betrachter. In der Stadt weckt der Honig unter Umständen erst den zugeneigten Blick und verweist darauf, dass neben klassizistischen Häuserfassaden, den massenhaft auftretenden Autos, den Rolltreppen in eine Tiefe, aus der abgestandene Luft heraufgeschoben wird, jenes komplizierte Universum aus Flora und Fauna existiert.

Die Frage, was Natur ist, will ich dahingestellt sein lassen. Das Lexikon der Bienenkunde gibt darauf ebenfalls keine Antwort. In der Stadt München ist von einem Grünen Gürtel oder der Grünen Lunge die Rede und gemeint ist vorwiegend das Band, das den Fluss begleitet und sich im Norden ausweitet. Die Leute, die mich am Stand besuchen, sprechen unbekümmert von „Natur“ und meinen den Parallelraum, in dem Finken und Kleiber wohnen und Insekten aller Art nisten.

Die Tempelglocke schweigt

Doch ich höre den Klang noch

aus allen Blumen

Matsuo Bashō

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