Monat: Oktober 2021

Babylonische Sprachverwirrung

Ein Vortrag im Rahmen der Ausstellung Wurzelspitzen

01 Einstieg: Sie wissen vom Turmbau zu Babel, der ein Bild für Vermessenheit ist, und von der alttestamentarischen Bestrafung durch Sprachverwirrung. Daraus habe ich das Alttestamentarische und überhaupt das Christliche, und das bitte ich zu entschuldigen, heraus gewaschen. Dadurch haben wir hier ein Bild, das weit darüber hinaus geht. Göttliche Bestrafungen finden nicht mehr statt. Wir erzeugen die Katastrophe heute selbst.

Sie werden hören, dass ich dauernd auf Bienen zu sprechen komme. An ihnen arbeite ich mich entlang. Sie träufeln es in mein Ohr, wie Joyce sagt. Vor allem in letzter Zeit werden viele Texte zu ihnen geschrieben, besonders übrigens Romane. Manche habe ich gelesen. Gelegentlich wird die Organisation des Bienenstaates auf die Gesellschaft übertragen. Das ist falsch. Das ganze Volk ist – wie ein gegenwärtiger Bienenforscher schrieb – ein Säugetier ehrenhalber.

Bienen seien heute ein Politikum, heißt es. Aber nicht für mich.

Zur Abrundung des Einstiegs und um ein Leitmotiv zu installieren, zitiere ich John Cage: „Ob man durch Träume, den Lotussitz oder Atemübungen zu sich findet (…), immer kommt man zum selben Ergebnis: Man darf kein Konzept haben. Sicherlich zielen alle Kōans des Zen-Buddhismus darauf ab, jedes Konzept zu Staub zu zermahlen, bis nichts mehr übrig ist.“

02 Wissenschaft: Als ich mich mit Bienenkunde beschäftigte, fiel mir auf, dass man das gesamte Feld immer in Segmente unterteilte. Innerhalb dieser Abschnitte, die man einzeln sozusagen unters Mikroskop legte, ergaben sich Einsichten. Etwas wurde erklärbar. Und dieses Wissen lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn ich übrigens nachlese, beachte ich, wie die Fragestellungen aussahen. Denn Ergebnisse erhält man je nach den Fragen.

In der wissenschaftlichen Aufschlüsselung fehlt mir meistens etwas. Das hat damit zu tun, dass es – ich gebrauche den Begriff mit aller Vorsicht – in spiritueller Hinsicht keine Rolle spielt, ob ein Bereich wissenschaftlich aufgeschlossen ist oder nicht. Ich will noch grundsätzlicher und provokativer werden. Wissenschaftliche Entdeckungen ändern nichts an der Rätselhaftigkeit der erforschten Objekte. Denn sie wird nicht beeinflusst, indem jemand heran tritt und uns erklärt, wie es sich verhält.

Es könnte so erscheinen, als wollte ich hier die Wissenschaft abwerten oder sie als das Gegenteil der Kunst darstellen.

Wie Sie in meinem Katalog sehen, sind die naturwissenschaftlichen Darstellungsweisen für mich als Künstler oft interessanter als die Forschungsergebnisse. Das hat damit zu tun, dass fast jede Art davon ins Bildnerische hinein reicht. Selbst eine mathematische Formel ist zugleich eine Grafik. Dort sind aber wir zuhause. Wird etwas aufgedeckt, frage ich: Wie ist es gezeichnet? Als Beispiel nenne ich hier die komplexen grafischen Modelle der Enzyme, die an sich derartigen Bildcharakter haben, dass ich sie nur noch aus dem Zusammenhang lösen musste, um sie als vielfarbige Bilder auf Papier zu drucken.

03 Diskussion: Ich will Ihnen von einer Diskussionsrunde erzählen. Das Ganze ist 18 Jahre her. Wir saßen zu fünft in einem Raum. Einer hielt sich heraus, was ich im Nachhinein interessant finde. Denn worin bestand seine Rolle? Einer experimentierte beruflich mit Genmanipulation bei Amseln und bezeichnete das Zusammenbringen einer männlichen und einer weiblichen Zelle als Schöpfungsakt. Er hatte ja den Beweis unter dem Mikroskop. Er schob die eine Zelle in die andere hinein und sie fingen an, sich zu teilen. Es war ihm unmöglich, etwas Zusätzliches wahrzunehmen. Seine Frau unterstützte ihn argumentativ. Ein Freund und ich sprachen gegen diese Sicht. Wir sagten: Du kannst die Voraussetzungen schaffen, aber das, was man früher oder anderswo als göttlichen Funken oder als den Lebenshauch bezeichnet hat und wofür wir kein Wort haben, kann der Mensch nicht leisten. Sie erinnern sich an das Fresko von Leonardo mit den zwei Fingern, die sich fast berühren. Es heißt: „Die Erschaffung Adams.“ Das habe ich vor Augen. Und ich sprach dann eine gewagte These aus, die ich Ihnen nicht ersparen will: „Es ist die Urkränkung des Menschen. Denn er ist nicht in der Lage, Leben zu erschaffen. Womöglich ist der Mensch deshalb abhängig davon geworden, Lebendes zu zerstören.“

04 Sinnesempfindungen: Von diesem Verzweigungspunkt an kann es in verschiedene Richtungen weitergehen. Man könnte eine religiöse Debatte anstrengen und ethische Fragen aufwerfen. Anstatt dessen bekunde ich meinen Respekt vor sinnlicher Wahrnehmung. Damit meine ich nicht nur unsere Sinnlichkeit, sondern vor allem die der Tiere und Pflanzen bis hinunter zu den Bakterien.

Hunde beispielsweise wittern feinste Gerüche und können mittlerweile darauf trainiert werden, elektronische Speichermedien zu erschnüffeln. Auf diese Weise konnte bei jenem gewaltigen Missbrauchsskandal Lügde in der Wohnwagensiedlung ein USB-Stick entdeckt werden, der vom Täter in eine Sofaritze gesteckt worden war. Darauf hat man dann kinderpornographische Fotos gefunden. Ich erinnere mich nicht, wie stark man den Täter bereits belastet hatte, aber ich möchte gern glauben, dass der USB-Stick eine wichtige Rolle gespielt hat. Bienen, bei denen ebenfalls der Geruchsinn extrem ausgeprägt ist, riechen „plastisch“. Menschliche Nasen hingegen sind so geformt, dass sich die Luftströme darin verwirbeln. Dadurch sind wir nicht in der Lage, Düfte exakt zu lokalisieren und von anderen, ebenfalls vorhandenen, zu trennen.

Bereits früh im letzten Jahrhundert wurde der größte Teil der Bienenanatomie erschöpfend bearbeitet. Das alles steht in einem Buch mit dem Titel „Der Bau Der Biene“ aus einer siebenteiligen Reihe, die der Erlanger Bienenforscher Enoch Zander seit dem Jahr 1911 heraus gegeben hat. Dabei entdeckte er das Magnetfeldorgan, das bei den Bienen in der schmalen Brücke zwischen dem mittleren und dem hinteren Leib sitzt. Dort liegt auch das Gleichgewichtsorgan.

Ich nahm die Abbildungen, zeichnete sie nach und arbeitete mich auf diesem Weg ein. Dabei bemerkte ich, dass ich Zeichnungen abzeichnete, und zwar entsprechend der frühen Jahre des vergangenen Jahrhunderts solche mit Feder und Tusche. Sie stammten von Zander. Folglich trat ich einen Schritt zurück und nahm die Federzeichnungen selbst, indem ich mithilfe von Tipp-Ex alle wissenschaftlichen Zuweisungen, Pfeile, Zahlen und zuvorderst den Text hinaus warf. Es war, als ob ich Fäden zerschneiden würde. Ich löste die Einbettung. Herr Zander hatte auch Ergebnisse anderer Forscher in sein Buch aufgenommen. Deshalb erkennt man, sobald die Zeichnungen allein stehen und somit in den künstlerischen Bereich vordringen, augenblicklich die Spur der Hand.

Für Bienen spielen die Sinne eine erhebliche Rolle, wenn es um die Orientierung im Raum geht. Sie haben zwei Facettenaugen seitlich am Kopf und drei Punktaugen oben, mit deren Hilfe sie das Sonnenlicht interpretieren. Von den Bienen ist uns bekannt, dass sie nichts hören. Aber sie lösen diesen Mangel, indem sie die feinen Luftvibrationen wahrnehmen, die durch akustische Signale erzeugt werden. Zugleich spüren sie das Magnetfeld. Im Flug orientieren sie sich an Landschaftsmarken, an Düften, an Farben und so weiter. Sie merken sich die Silhouette eines Waldes. Sie verfügen nicht nur über einen Zeitsinn, mit dessen Hilfe sie berechnen, wie weit die Sonne gewandert ist, während sie sich im Stock aufgehalten haben oder wo das Magnetfeld, das ja schwingt, in Bezug auf die Tageszeit steht. Sie haben ein Mittelzeitgedächtnis. Nach etwa einer Woche haben sie zwar das Meiste vergessen. Vieles, das innerhalb dieses Rahmens liegt, bleibt jedoch gespeichert. Im Übrigen gestalten sie Räume. Die Blütenpracht beispielsweise, die Gestalt der Pflanzen oder die der Landschaft, die wir sehen, wenn wir spazieren gehen, verdanken wir bestäubenden Insekten.

Die Menschen haben zwei Hauptsinne, das sind Hören und Sehen. Indem das Fernsehen genau diese beiden bevorzugt anspricht, kann es die anderen ausklammern. Weniger hoch bewertete Sinne wie Riechen, Schmecken, Berühren, Zeitsinn, Gedächtnis, Wärme-Kälte, Schwere, Gleichgewicht und so weiter liefern uns unterschiedlich bewertete Informationen. Besonders den Gleichgewichtssinn benutzen wir unbewusst. Wir stehen in gerader Linie zum Erdmittelpunkt. Das betrifft ebenso das Gehen. Zu sehr feinen Informationsströmen haben wir eingeschränkten Zugang. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist entweder abgekoppelt oder ins Unbewusste abgerutscht. Die Kunst ist nicht dazu da, entfernte Sinne zu beleben. Aber manchmal bedient sie sich ihrer, lockt sie hervor, spricht sie an und reinstalliert sie.

Das ist hier kein Ort für Kunsttherapie.

Darüber hinaus will ich dorthin gehen, wo wir mittelbar wahrnehmen. Mir wurde mitgeteilt, dass wir kein Organ haben, um das Magnetfeld zu fühlen. Dafür haben wir den Kompass erfunden. Bei Pferden gibt uns ein Röntgenbild des Knies Auskunft, ob eine Knochenabsplitterung vorliegt. Das kommt relativ häufig vor, wenn die Pferde dazu gezwungen werden, über Hindernisse zu springen, wie es bei Turnieren der Fall ist. Diese Absplitterungen wandern entlang der Knochen und verursachen dem Pferd erhebliche Schmerzen. Pferde können Schmerz nicht äußern, sie können nicht weinen. Sie sind Fluchttiere. Ließe man sie, würden sie davon rennen. Der Mensch hat das Röntgenbild in der Hand und müsste Schlüsse ziehen.

Vor kurzem habe ich übrigens gelesen, dass Bienen mit voller Geschwindigkeit, das sind etwa 30 km/h ein Unterholz durchfliegen können. Das verlangt ihnen erhebliche Navigationsfähigkeiten ab. Und obwohl man ihnen längst Sender auf den Rücken geklebt hat, ist es wissenschaftlich nicht entschlüsselbar, was da geschieht.

05 Das System: Ob Bienen Schmerz empfinden, ist zweifelhaft. Ich vermute, dass es nicht der Fall ist.

Bei den Bienen gibt es die Möglichkeit, dass ein Volk plötzlich als Ganzes reagiert. Nehmen wir an, dass giftige Gase in den Stock gelangen. Ich hatte das einmal am Stand. Im Spätherbst hatte jemand einen vollen Benzinkanister von vorn unter die Paletten gesteckt, auf denen sie stehen. Aus dem Behälter entwichen unablässig feine Dämpfe und im Frühjahr war keine einzige Biene mehr da. Sie waren nicht gestorben, sondern einfach ausgezogen. Natürlich hätten sie <i>wissen</i> können, dass sie draußen keine Chance haben, zu überleben. Aber die Bedingungen waren für sie unannehmbar.

Wenn ich die Bienenstöcke öffne, spüre ich Zuneigung. Doch ich fühle bei den Bienen, und das werden sie unmittelbar nachvollziehen können, auch Distanz. Bienen sind keine Kuscheltiere. Ein Bekannter gab nach einem Jahr die Bienenhaltung auf, da ihm das System zu komplex war.

Im Bienenstock herrscht so etwas wie pure Energie. Vor kurzem mutmaßte ich, dass diese reine Energie nur durch Lebewesen fließen kann, für die Leben und Tod nicht wichtig sind. Was uns auffallen muss, wenn wir die Bienen betrachten, ist Folgendes: Sie haben sich im Laufe von ein paar Hunderttausend Jahren nicht verändert. Das zugrunde liegende System hat sich nicht gewandelt. Und das ist – wie ich meine – aus einem ganz bestimmten Grund geschehen. Es ist seit langer Zeit perfekt.

Dieses System beugt sich auch nicht, wenn die Bienen weg sind. Wenn ein Volk stirbt, stoppt der Energiefluss. Ziehen aber neue Bienen in den Kasten ein, so folgen sie auf absolute Weise demselben System. Das besteht aus eineindeutigen Postulaten, sowie aus offenen Stellen, wo der Mensch regulierend eingreifen kann. Das Gewebe aus verschlossenen und offenen Systemgliedern existiert jedoch unabhängig von den Bienen. Zum Beispiel kann es nur eine Königin pro Volk geben. Eines, in dem sich zwei Königinnen aufhalten, ist in eine Schieflage geraten. Womöglich wird die eine Königin die andere abstechen oder die ältere kann mit den älteren Bienen den Stock verlassen. Es besteht unbedingter Handlungsbedarf. Falls wir die alte Königin, die entfernt werden soll, fänden, könnten wir sie einfach aus dem Stock pflücken und ins Gras schmeißen. Sie würde dort zwar von ein paar Arbeiterinnen gesucht, aber irgendwann aufgegeben.

„Man kann Bienen auch in einem Gummistiefel halten.“ Diesen Satz prägte Franz Wagner, mein Bienenlehrer. Der Satz bezieht sich darauf, dass sich das System trotz der vollständigen Wandlung ihrer Lebensräume nicht im Geringsten geändert hat. Wir haben die riesigen Wälder mit dicken Bäumen gerodet und die Bienen in unsere Abhängigkeit gebracht. Im städtischen Raum wird manchmal noch ein Rollladenkasten besiedelt. Das ist aber auch alles. Doch ihr System sagt weiterhin entweder ja oder nein. Nullen und Einsen. Dazwischen gibt es nichts. Darin liegt – wie ich glaube – ein Teil dessen, was wir als die Intelligenz der Bienen bezeichnen.

Nun tritt aber der Mensch heran. Die Wissenschaft leiht ihm zwar eine Hand, aber die Intention ist allgemein. Er hätte beispielsweise gern, dass zwei Königinnen nebeneinander im Volk leben. Denn es ist nun einmal so, und das ist schon sehr lange der Fall, dass wir etwas, das sich gar nicht ändern lässt, am allerliebsten ändern möchten. Je größer der natürliche Widerstand ist, desto größer ist unser Anliegen.

Auch ich dachte, natürlich in viel kleinerem Rahmen, ich müsse handeln. Ich muss aber nicht. Daher habe ich mir angewöhnt, den Bienen möglichst viel selbst zu überlassen. Und es hat sich heraus gestellt, obwohl es sich manchmal nur um Feinheiten handelt, dass sie es besser können.

06 Informationen: Ein bedeutender gegenwärtiger Bienenforscher namens Jürgen Tautz hat im Jahr 2021 in seinem Buch „Die Sprache der Bienen“ neue Ergebnisse vorgestellt. Er hat erweitert, was Karl von Frisch bis zum Jahr 1927 heraus gefunden hatte. Das Buch des Herrn von Frisch heißt „Aus Dem Leben Der Bienen“ und ist populärwissenschaftlich. Es geht dabei unter anderem um die Übermittlung von Informationen mithilfe der Tanzsprache. Für deren Erforschung hat von Frisch im Jahr 1973 den Nobelpreis bekommen. Als er das Farbspektrum erforscht hat, zu dem Bienen Zugang haben, ist er darauf gestoßen, dass sie Ultraviolett sehen können. Von Frisch bezeichnete die Mischfarbe von Gelb und Ultraviolett poetisch als „Bienenpurpur“. Bienen sehen Farben anders als wir. Grün – soweit ich das verstanden habe – ist für sie ein lichtes Grau und kommt dem nahe, was uns farblos erscheinen würde. „Wo für uns die weißen Sterne der Gänseblümchen in der Wiese stehen, da leuchten den Bienen blaugrüne Sternchen entgegen.“ So schreibt von Frisch. Die Blüten strahlen für sie insofern aus einem beinahe farblosen Feld heraus. Die Gärtner und Naturbeobachter unter Ihnen kennen vermutlich im blauen Vergissmeinnicht den gelben Ring. Das ist das „Saftmal“. Bienen sehen diesen inneren Kreis in zahlreichen Blüten zwischen dem Pollenkranz und dem äußeren Blütenrand.

Wie die im Stock übermittelten Informationen außerhalb des Stockes eingesetzt werden, hat von Frisch ausgespart. Bezüglich des Bienentanzes haben sich die Forschungsmethoden weiterentwickelt. Man sitzt nicht mehr mit Zirkel und Stoppuhr vor der Wabe. Es gibt Videoaufzeichnungen, die man minutiös auswerten kann. Daher war lange nicht klar, dass die unerfahrenen Sammlerinnen durch die Tänze nicht in eine exakte, sondern in eine grobe Richtung geschickt werden und dass ihnen eine nur etwaige und kürzere Entfernung vorgetanzt wurde. Außerdem erhalten die Bienen im Stock auf vier unterschiedlichen Kanälen jeweils dieselbe Information. Im Stock ist soviel Trubel, dass die Nachricht unbedingt ankommen muss. Diese Redundanz spricht – wie ich meine – für deren Wichtigkeit. Die Information breitet sich auch nicht über weite Strecken aus, sondern verbleibt innerhalb eines räumlich begrenzten Feldes, das etwa die Größe meiner Handfläche hat. Es soll ja nur eine kleine Gruppe von Bienen benachrichtigt werden. Die Vortänzerinnen zupfen beispielsweise auch am Tanzboden, der Wabe, und bringen sie zum vibrieren als übermittelten sie einen Morsecode.

07 Unbestimmtheit: Die neuen Entdeckungen zeigen also, dass unerfahrene Bienen von erfahrenen Sammlerinnen in einen Bereich geschickt werden, der vor den Nektarquellen liegt. Sobald die neu informierten Bienen den Bestimmungsort erreichen, suchen sie dort und werden wahrscheinlich durch Düfte zu den Futterplätzen gelockt. Zwischen dem Schicken und dem Locken liegt ein eigener, von dem Bienenforscher Tautz erstmals eingeführter Raum, der mich als Künstler natürlich bevorzugt interessiert. Denn gerade in den kann man mit den gegenwärtig verfügbaren wissenschaftlichen Methoden noch nicht hinein schauen. Er ist bis auf weiteres undefiniert, wodurch er zu einer künstlerischen Möglichkeit wird. Ich verwende das Wort Unbestimmtheit. Und ich verweise dadurch erneut auf John Cage. Denn in seiner Arbeit spielt er eine zentrale Rolle. In seinem ersten Buch „Silence“, erschienen im Jahr 1939, gibt es zahlreiche eingeschobene Texte, die als Ganzes diesen Titel tragen: „Indeterminacy“. Er schrieb weiter daran bis es hundert wurden und verwendete den Rest in einem späteren Buch. Das erschien im Jahr 1963 unter dem Titel „A Year From Monday“. Ich kann nicht widerstehen und gebe Ihnen ein Beispiel: „In Darmstadt, während ich nicht mit Musik beschäftigt war, war ich in den Wäldern, um nach Pilzen zu suchen. Eines Tages, während ich einige Hypholamas sammelte, die nicht weit von der Konzerthalle entfernt um einen Baumstumpf herum wuchsen, kam eine Dame aus dem Sekretariat von den Ferienkursen für Neue Musik heran und sagte: Alles in allem ist die Natur besser als die Musik.“

08 Honig: Auf das Thema Honig bin ich während einer Lesung im Jahr 2011 eingegangen. Sie finden den Text im Katalog. Im Jahr 2017 wurde ich eingeladen, über Honig als Nahrungsmittel zu sprechen. Ich nannte diese Lesung „in bocca al lupo“, was wörtlich übersetzt hieße: Im Maul des Wolfes. Doch es ist genau anders herum gemeint: Nirgendwo ist man sicherer als im Rachen des gefährlichsten Tieres. Man könnte auch sagen: Hals- und Beinbruch. Da in den Vorträgen alles gesagt ist und sie nachlesbar sind, will ich nur ein paar Stichpunkte erwähnen. Auf Honig habe ich lange von oben herab geschaut. Ich folgte darin der Meinung meines Bienenlehrers. Wir hielten Honig für überbewertet in Anbetracht der schwerer wiegenden Themen. Damals gab es viele Imker, die ausschließlich der Ausbeute wegen Bienen hielten. Das kam uns verwerflich vor. In dieser Hinsicht hat sich in Zusammenhang mit der Stadtimker-Bewegung einiges verändert. Im Jahr 2011 kam ich ins Nachdenken und legte mir das Ergebnis so zurecht: Honig ist ein Botschafter. Er gibt Auskunft über die Pflanzen. Er führt die Menschen an die Bienen als Lebewesen heran. Stadthonig verbindet den Stadtbewohner mit dem städtischen Raum. Honig bildet zwischen uns eine Mitte. Der Text trägt den angeberischen Titel „missing link“.

09 Kommunikation: Sie kennen womöglich das Buch „Phänomen Honigbiene“ von dem vorher erwähnten Jürgen Tautz. Es ist fesch aufgemacht, doch am Schluss steckt weniger dahinter, als man erwartet. Es ist gedacht für den staunenden Anfänger. Lassen Sie uns – sozusagen als Arbeitshypothese – von Sinnesorganen und den entsprechenden Sinnesempfindungen bei allen Lebewesen ausgehen, die an der Honigproduktion beteiligt sind. In jenem weiteren Buch, auf das ich bereits eingegangen bin, „Die Sprache Der Bienen“, verspricht Herr Tautz uns Entscheidendes. Doch schließlich erklärt er uns nur den Weg der Biene vom Bienenstock zur Pflanze und den nicht einmal ganz. Was ich in Augenschein nehmen möchte, geht darüber hinaus. Denn ich will die Verständigung der Bienen mit den Pflanzen betrachten oder den Informationsaustausch verschiedener Völker untereinander oder den verschiedener Insektenarten und/oder Pflanzenarten und so fort. Weiter will ich den Menschen dazu nehmen. Der hält eine Sonderrolle. Einerseits muss man ihn für einen Augenblick entfernen. Denn er tritt als Betrachter auf und kann sich distanzieren. Und wir müssen fragen, was sich verändert, wenn wir uns aus der gesamten Gleichung heraus nehmen. Aber wir müssen uns auch einbeziehen. Denn wir sind selbstverständlich als Kommunikatoren beteiligt. Mein Anliegen ist, möglichst viele Formen dieser Verständigung auf die Schnur zu fädeln und „keine“ Theorie zu entwickeln.

Das Thema Kommunikation ist so komplex, dass selbst die Wissenschaft nicht weiter als bis zu den Ausläufern des Gebirges gelangt ist. Als Laien gingen wir davon aus, dass Menschen kommunizieren – oder auch Beziehungen zerbrechen, weil nicht geredet wird – oder dass gelogen wird, was einen wichtigen Platz einnimmt. Es gibt zahllose Bücher darüber. Die kann ich nicht alle gelesen haben. Doch selbstverständlich habe ich im Vorfeld recherchiert und die fünf gängigsten Modelle betrachtet. Meistens werden darin die gleichen Faktoren aufgebracht. Beispielsweise das, was der Sender sagen will, was er sagt und wie sich alle möglichen Zusatzbotschaften in das Gesagte hinein drängen, unter anderem Selbstoffenbarung und Selbstbekundung, und was der Empfänger schließlich versteht. Ich könnte jetzt ein Referat halten, vielleicht vor einer zehnten Klasse. Doch die meisten greifen bei Tieren und Pflanzen nicht. Wir müssen uns aber daran gewöhnen, nicht im Mittelpunkt zu stehen.

Erst 2,5 % aller Lebewesen auf dieser Erde sind bisher identifiziert worden, heißt es. Im Jahr 1995 fand man das bis dahin älteste Lebewesen der Welt. Es war ein 25 Millionen Jahre altes Bakterium, das man im Hinterleib einer Biene aufgespürt hatte, die in Bernstein eingeschlossen gewesen war. Von Bakterien wissen wir, dass sie den Boden aufbereiten und tonnenweise Abfall zersetzen und sich am Erdmagnetfeld ausrichten.

10 Flora: Was die Pflanzen betrifft, ist jetzt eine neue Forschungsmethode in. Diese Einschätzung hörte ich von einem amerikanischen Botaniker. Entsprechend dem allgemeinen Trend wird an die Pflanzen beinahe esoterisch heran gegangen. Ein Buch, das ich dazu nennen möchte, heißt „Die Intelligenz Der Pflanzen“ von dem Florentiner Professor Stefano Mancuso. Ein zweites heißt „Was Pflanzen Wissen“ von dem Israelischen Biologen Daniel Chamovitz. Beide sind populärwissenschaftlich. Man darf dabei die ungenannten Leute nicht vergessen, die überall auf der Welt in Forschungsgruppen sitzen und arbeitsteilig helfen.

Ich zitiere Stefano Mancuso, der in seinem Buch „Die Pflanzen Und Ihre Rechte“ Folgendes referiert: „Berühmt ist die erstmals von den deutschen Biologen Ernst Haeckel und Carl Vogt propagierte Geschichte, wonach ausgehend von Darwin das Schicksal Englands von den Katzen abhänge. Da sie Mäuse fraßen, erhöhten sie damit die Überlebenschancen der Hummeln, die den Klee bestäubten, der an die Ochsen verfüttert wurde, die das Fleisch produzierten, das die britischen Seeleute ernährte, was es der britischen Marine – der eigentlichen Machtbasis des Empires – erlaubte, ihre ganze Kraft zu entfalten. Thomas Huxley trieb den Scherz noch weiter, indem er anführte, dass nicht die Katzen, sondern die beharrliche Liebe englischer Spinner zu ihnen die wahre Stärke des Empires repräsentierten.“

Jener gegenwärtige Zweig der Biologie bemüht sich um das Auffinden von Sinnesorganen bei den Pflanzen. Wir möchten gerne glauben, dass es sie gibt. Wir wünschen uns buchstäblich das Ohr an einen Baum hin. Aber wir wissen, dass wir scheitern werden. Das bedeutet indessen nicht, dass akustische Reize vernachlässigt werden dürfen. Wenn verschiedene Baumarten, meinetwegen eine Eiche und eine Weißbuche eine gemeinsame Krone bilden, muss das als Zusammenleben genommen werden. Ein gesamter Wald ist als Koexistenz von Lebewesen zu sehen. Sie kommunizieren mithilfe komplexer chemischer Prozesse über die ineinander verflochtenen Wurzeln. Hier ist die Rolle der Pilze umfassend zu denken. Sie erstrecken sich unterirdisch über riesige Felder. Ich vermute, sie verbinden entfernte Wurzelwerke und transportieren Informationen.

Damit lande ich erneut bei John Cage. Ich zitiere aus „A Year From Monday“: „Als Valerie Bettis in den Kinofilmen ankam, wurde sie von jemandem, der sie interviewte, gefragt, wie es sich anfühlte, erfolgreich zu sein? Sie sagte: Was meinen Sie? Ich war immer ein Erfolg.“

11 Diskurs: Ich kenne im Übrigen auch das einschlägige Buch des Philosophen Emanuele Coccia. Es heißt „Die Wurzeln Der Welt“. Ich habe darin herum gelesen und es als Geschwurbel abgetan.

Dabei möchte ich Sie auf die Form unseres Diskurses hier an diesem Ort aufmerksam machen – wobei ich mich explizit auf Ruth Geiersberger beziehe, die in diesem Rahmen in Bezug auf Stefano Mancuso eine gegensätzliche Meinung geäußert hat. Sie ist ja sogar nach Florenz gefahren, um ihn zu treffen. Wir sprechen nicht davon, dass etwas so ist oder nicht so ist, dass wir dieses oder jenes zweifelsfrei festgestellt haben, sondern dass wir es auf diese oder jene Weise sehen. Wir erzeugen Bilder.

Beispielsweise fragte mich ein Freund: „Was ist dein Werk?“ Und ich antwortete: „Ich habe keins.“ Das Werk ist eine Erzählung. So und so habe ich vor geraumer Zeit ein bestimmtes Thema angefasst und dies ist damals dabei heraus gekommen. Aber heute wäre es anders. Im Jahr 1998 gab es beispielsweise eine Radiosendung mit dem Titel „Der Stadtimker“. Und ich staune heute, wie wenig ich damals zu sagen hatte. Ich habe also kein Köchelverzeichnis. Daher ist der Diskurs lebendig.

12 Bruder Baum: Da wir sehen, dass separate Forschungszweige existieren und sich flüchtig berühren, die einen bemühen sich beispielsweise um Bienen, die anderen um Pflanzen, dann müssen wir im Grunde abwinken. Denn es gibt keine gelegentlichen Berührungspunkte, sondern es ist eine gemeinsame Welt. Wir stehen sowohl davor, als auch darin und bemühen uns, sie als Ganzes zu sehen. Die Tatsache, dass zahlreiche unterschiedliche Gruppen von Forschern sich in Einzelsträngen um Aufschlüsse bemühen, ändert nichts am sinnlich Tatsächlichen.

13 Kluge Köpfe: Nun schlage ich einen Haken und gehe zurück auf Los. Ich hoffe, Sie glauben nicht, ich würde Ihnen hier einen Ausweg anbieten. Ich beschreibe eine Sicht. Der Text soll Sie nicht verleiten, Ihr Ohr an ein Stück Wiese zu pressen. In München, im Rosengarten, wo meine Bienen stehen, das muss ich kurz erzählen, gibt es im Frühjahr etwa zur Zeit der Magnolienblüte Spaziergänger, die scheu ins Unterholz huschen und einen Baum umarmen. Manchmal, wenn ich bei den Bienen arbeite, sehe ich dieses Treiben. Ich finde es rührend, ein bisschen armselig vielleicht. Bruder Baum. Es ist eine Geste.

Die Babylonische Sprachverwirrung beziehe ich auf Sinnesorgane und -empfindungen und somit auf den Kommunikationsbereich. Uns Menschen ist das Zuhören abhanden gekommen. Oder wir haben noch nie zugehört. (Letztere ist die These, die mir am ehesten einleuchtet.)

Aber, denkt man gleich, wir hatten doch beispielsweise die Romantik oder die Aufklärung. Ich möchte dem gegenüber stellen: Wir haben „uns“ ausprobiert. Im Laufe von ein paar Tausend Jahren haben wir jeweils neue Brillen aufgesetzt. Uns ging es darum, was wir sehen, wenn wir es auf eine bestimmte Weise anschauen.

Ich will eine Person erwähnen, die mir wichtig ist: Jonathan Franzen, ein US-amerikanischer Schriftsteller, der Vögel beobachtet und sich anhand dessen, was er sieht, etwas denkt. Er hat dazu eine Reihe Essays verfasst. Der letzte heißt „Wann Hören Wir Auf, Uns Etwas Vorzumachen?“ und er schreibt: „Das Kind ist in den Brunnen gefallen.“ Über die Kommunität der Klimaaktivisten, die jede seiner Äußerungen argusäugig verfolgt und mit shitstorms beantwortet, sagt er: „Die Aktivisten, die so denken, erinnern mich an jene religiösen Führer, die fürchten, dass Menschen sich ohne die Verheißung ewiger Erlösung gar nicht erst um tugendhaftes Verhalten bemühen würden.“

Wir arbeiten mit Bildern. Bei der Graswurzelbewegung „Fridays For Future“ geht es mir um das erste und ikonischste: Ein Mädchen sitzt auf der Straße und hat ein von Hand beschriebenes Pappschild neben sich. Greta Thunberg ist als eine Marilyn inszeniert worden.

Ihnen ist bewusst, dass wir uns als Menschheit plus zugehörigem Planet Erde in einer heiklen Situation befinden und das ist die Folge unseres Handelns. Doch wen betrifft unser Handeln? Die Antwort ist vergleichsweise einfach. Von den meisten Lebewesen wissen wir es nicht, da wir sie nicht kennen. Die anderen sind derart widerstandsfähig und zählebig, dass wir uns um sie keine Sorgen machen müssen. Es trifft uns Menschen, zahlreiche der Tiere, die mit uns in Gemeinschaft leben und die meisten der uns bekannten Pflanzen, Bäume, Gräser, Büsche. Grundsätzlich entziehen wir uns die Lebensgrundlage.

Vor wenigen Jahren konnte man dreimal pro Saison Honig schleudern: Mai, Juni, Juli. Dieses Jahr ging nur Ende Juli die Abschlussschleuderung. Stellen Sie sich vor, es kämen schlimmere Jahre. Die Bienen könnten wegen Kälte und Regen selten ausfliegen oder extreme Hitze würde den Nektar eintrocknen lassen. Bestäubungen fänden nur gelegentlich statt und oft nicht durch Honigbienen. Die Imker müssten im Herbst regelmäßig füttern, gegen Krankheiten behandeln und einwintern. Ohne Gegenleistung. Was vermuten Sie?

An dieser Stelle hatte ich eine Abfolge gegenwärtiger Positionen stehen. Die habe ich gestrichen und ersetzt durch einen Satz: Kluge Köpfe tappen in die Falle, indem sie Auswege aufzeigen.

14 Finale: Zum Schluss kommt noch einmal John Cage zu Wort. Er hat im Jahr 1992 während seines letzten Interviews gesagt: „Ich war mir des Gedankens von Norman O. Brown bewusst, dass wir nun, da wir die Umwelt ruiniert haben, die Atmosphäre für schöne Sonnenuntergänge bereitet haben.“

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