1998

Propolisschwelle

Propolis ist das Harz verschiedener Bäume (unter anderem Birken, Buchen, Erlen, Pappeln, Kastanien und natürlich Fichten und die stark harzenden Bäume des Waldes), das die Bienen im Laufe des Sommers sammeln, es jedoch nicht im Honigmagen umarbeiten wie Nektar, auch keine Enzyme dafür verbrauchen, sondern mithilfe ihrer Kauwerkzeuge kneten wie Bildhauer und es dabei mit einem wechselnd hohen Anteil an Wachs versetzen. Wie ich las, soll es sich dabei um eine ungefähre Menge von 30 % handeln, dazu 5 % Pollen. Propolis wirkt antibiotisch, antiviral und antimykotisch und dient den Bienen dazu, in den Stock gelangende Keime, Bakterien, Viren oder Pilze abzutöten. Offenbar bildet die hohe Luftfeuchtigkeit im Stock in Verbindung mit den etwa 35° C Temperatur einen idealen Nährboden, den die Bienen damit stilllegen.

Gleichzeitig hatte ich eine größere (hier nicht gezeigte) Arbeit gemacht, die nur aus rechteckigen Blättern bestand, die mit selbst hergestellter Propolistinktur getränkt waren. Ich hatte die Flüssigkeit in eine der Plastikflaschen gefüllt, aus denen man Blumen besprüht, und sie brachte das Atelier zum Duften.

Bienen kleiden ihre Behausungen innen mit Propolis aus, dichten Ritzen ab und kleben Rähmchen fest. Störenfriede im Stock, Schnecken oder sogar Mäuse, die winters in den Stock gelangt und tot gestochen worden sind, die sie aber nicht hinausschaffen können, werden vollständig mumifiziert. Wie ich las, werden selbst die Innenwände der Zellen mit einem hauchdünnen Film überzogen. Und am Eingang in den Stock, wie gesagt, bringen sie eine winzige Schwelle an, über die sie krabbeln, um ihre Füße zu desinfizieren. Grob gesagt ist das ein antibiotischer Fußabstreifer. Die Idee der Schwelle veranlasste mich, sie in eine künstlerische Arbeit umzusetzen. Die Propolisschwelle soll aus Gips gegossen werden und anschließend durchtrocknen, damit sie saugfähig ist. Danach wird sie mit Propolistinktur besprüht. Die Arbeit ist nicht realisiert, was daran liegt, dass ich ihr eine hohe Wertigkeit zumesse. Ich fand nie einen Ort.

Die Literatur über Propolis füllt inzwischen eine Regalreihe. Es gibt zahllose Rezepte von Salben bis hin zu Lacken (für Geigen). Unter anderem kann man, zusammen mit Leinöl und vergälltem Alkohol, einen Anstrich herstellen, um hölzerne Bienenkästen außen zu imprägnieren.

Offenbar hängt die Neigung, zu kleben, auch von der Bienenrasse ab. In der Bienenzucht ist sie unerwünscht. Die Eigenschaft, weniger Kittharz zu produzieren, ist eines der erklärten Zuchtziele.

Die Harzgrundlage des Propolis ist kein körpereigener Stoff der Bienen. Dennoch wird es medizinisch als ihr hochwertigstes Produkt aufgefasst und es hat längst Eingang in die Naturheilkunde gefunden. pro polis, lernte ich, heißt vor der Stadt, auf Griechisch.

Der Geschmack lässt sich so beschreiben, dass man im hinteren Bereich der Zunge und im Rachen eine herbe, leicht scharfe Note erspürt. Als Nahrungsmittel würde ich es hingegen nicht bezeichnen.

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Figurales

Eines Tages begann ich, durch die Wälder zu streifen und Harz zu sammeln. Die meisten Nadelbäume sind vom Sturm gebrochen oder zumindest verdreht. An den Stellen entlang der Risse ist Harz ausgetreten. Manchmal ist es bereits ausgehärtet, in anderen Fällen ist es blasig oder gar flüssig und wehe man bekommt es an die Finger. Man kann fast behaupten, dass die Bäume sich selbst verarzten.

Damals las ich, dass Propolis vorwiegend aus dem Harz von Pappeln besteht. Inzwischen scheint man das nicht mehr genau zu wissen. Manchmal bin ich überrascht, welche Wenden in der Bienenkunde möglich sind und welche Gewissheiten abgetragen wurden. Damals gab es ein zementiertes Wissen. Das bekam ich beigebracht. Inzwischen haben sich zu viele Menschen – wie es scheint vor allem Stadtbewohner – der Bienenhaltung zugewendet haben, das heißt über die vertretbaren Maßen hinaus. Die Forschung blieb ebenfalls nicht aus und fördert Erstaunliches zutage. Und es werden haufenweise Bücher geschrieben. Mit Propolis und starkem Alkohol erzeuge ich Tinkturen. Früher legte ich sie ins Handschuhfach des Autos, damit sie regelmäßig geschüttelt wurden.

(Ich machte mich natürlich über allerlei Formen von Materialien kund, die von Bäumen erzeugt werden, und kam auch auf Kautschuk, mit dem ich noch nie gearbeitet hatte.)

Mir ging es zunächst um das Harz. Ich betrachtete es isoliert und erkannte darin einen plastischen Werkstoff. Allerdings ist es, wie ich feststellte, leicht zerbrechlich und es ändert im Nachhinein weiter seine Form. Es ließ sich also etwas daraus machen, aber es würde nicht so bleiben. Ich begann zunächst damit, es bei Kälte in einem Mörser zu mahlen. Deshalb wirkt die Figur relativ einfarbig. Der Zerbrechlichkeit geschuldet ist die Form, in die ich es goss. Ich nahm die auf dem Foto zu sehende Madonnenfigur ab und baute eine simple Doppelform aus ungebranntem Ton. Den ließ ich lederhart werden und dichtete die Ränder ab, indem ich feuchten Ton darüber schlickerte. Die zwei Teile hielt ich mit ein paar Runden Bindfaden zusammen. Dann stellte ich sie mit dem Anguss nach oben in den Ofen. Er war auf 80° C bis 100° C eingestellt. Da konnte ich aber nur raten. Ich fügte das Pulver nach und nach hinzu und war erstaunt, dass die Form viel mehr davon fasste, als ich erwartet hatte. Vielleicht verdichtet es sich, wenn man es erhitzt. Nach geraumer Zeit schien die Obergrenze erreicht. Den Sockel, auf dem die Figur steht, benutzte ich zugleich als Angusstrichter. Man erkennt, wie nur die äußeren Ränder davon ausgebildet sind und sich das Material nach innen zurückgezogen hat. Danach legte ich das Ganze in ein Wasserbad, damit der Ton sich auflöste.

Zu dieser Zeit war ich häufig in Sizilien und bemerkte, dass zahlreiche Häuser eine kleine gemauerte Nische haben, in der eine Marienfigur steht, meist zusammen mit einem kleinen Strauß Plastikblumen. Die Menschen dort glauben an ihren Schutz. In Sizilien ist die Maria weit „populärer“ als die Christusfigur. Kommt man an Ostern in eine Kirche, stehen zwar im Hauptschiff der Altar und dahinter der junge Mann am Kreuz. Doch im Seitenschiff steht eine kleine Madonna und ist über und über mit frischen Blumen geschmückt.

Daher dachte ich: Die Madonnenfigur ist eine plastische Möglichkeit. Ich stellte die gereinigte Figur auf ein kleines Bord. Aber wie sich zeigte, neigte sie sich weiter und weiter nach vorn. Ich schliff fast jeden Tag ein wenig vom Sockel ab. Aber der Prozess nahm seinen Fortgang und es blieb mir nichts übrig, als sie hinzulegen.

Anfangs befragt man sich natürlich bang, ob man selbst gläubig ist, entweder insgesamt christlich oder nur marianisch, ob man die Marienfigur sozusagen aus dem katholischen Glaubenskompendium herausgelöst verehrt. Als Folge davon fragt man sich womöglich, ob man diese Skulptur überhaupt machen darf, wenn man nicht gläubig ist. Aber nach und nach wurde mir klar, dass das aus meiner Sicht eine unwichtige Frage ist. Als Bildhauer, stellte ich fest, interessierte mich das Figurale, aber ich ging kaum so weit, selbst Figuren zu modellieren. Nur anfangs meiner Zeit an der Akademie der Bildenden Künste griff ich auf Spaziergängen gelegentlich in Pfützen, nahm den Schlick auf und formte kleine Buddhafiguren, die ich anschließend auf die Lehnen von Parkbänken setze, von denen der nächste Regen sie wieder herunter waschen würde.

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Der Stadtimker

Am ersten Oktober des Jahres 1998 wurde ein Rundfunkbeitrag mit dem Titel Der Stadtimker in Bayern2Radio ausgestrahlt. Der Urheber war Burkhard Mücke und ich war etwa eine Woche zuvor von ihm interviewt worden. Zum Glück hatte jemand alle ähs, die sich unwillkürlich in meine Rede geschlichen hatten, herausgeschnitten. Damals war das Thema Stadtimker überraschend, es war noch nicht virulent geworden und in die Mode der Balkonimker abgedriftet.

Eines Tages im Herbst besuchte ich Burkhard und seinen Freund John Ferguson, einen amerikanischen Biologen, auf deren luxuriös ausgebautem Hof in Niederbayern. Mir fielen sofort die zahlreichen Blumen auf, die in einem riesigen runden Beet in der Auffahrt noch blühten. Und ich fragte mich, wie John das hinbekommen hatte. Wir schritten das große Gelände, das zum Hof gehörte, gemächlich ab, stapften durch Matsch und liefen über gemulchte Brachflächen. Die Beiden machten kaum Aufhebens davon, aber es war schnell zu erkennen, dass der Grund in eine riesige experimentelle Gärtnerei umgewandelt worden war. John forschte an Pflanzen und natürlichem Dünger. Nachdem wir Kaffee getrunken hatten, nahmen Burkhard und ich den später ausgestrahlten Text auf. Wir saßen dazu an einem Tisch, von dem aus man in einen Wintergarten blicken konnte.

Burkhard hatte mit einem Kamerateam auch Filmaufnahmen am Bienenstock gedreht, doch sie waren nicht zu einem fertigen Fernsehbeitrag zusammengeschnitten worden. Er hatte vorgehabt, sie in der Sendung Querbeet zu zeigen, die regelmäßig seine Beiträge brachte. Er führte mich in ein Arbeitszimmer und öffnete einen riesigen Schrank, der voller Aufnahmen steckte, zog dieses und jenes Band heraus, alle waren säuberlich beschriftet, und schließlich händigte er mir das Rohmaterial aus, das sie von mir aufgenommen hatten. Doch ich war nicht interessiert. Wäre die Sendung im Fernsehen gelaufen, hätte ich sie mitgeschnitten und in einer Rundmail darauf hingewiesen. Doch bis dahin waren es unzusammenhängende Auszüge, denen ich nichts abgewinnen konnte. Er ließ mich allein, damit ich mir alles auf einem riesigen Bildschirm ansehen konnte. Indessen saß ich still auf einer dunklen Ledercouch und schaute aus dem Fenster und beobachtete, wie der Abend sich herein senkte.

Wieder später saßen wir zu dritt und aßen zu Abend. Es gab selbst gezogenes Gemüse, größtenteils sogar roh. Ich war erstaunt. In dem riesigen, komfortabel ausgebauten Hof wirkte es übermäßig spartanisch. Heute finde ich schade, wie wenig ich über Pflanzen wusste. Wir unterhielten uns bis in die Nacht und am folgenden Morgen fuhr ich ab.

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Plastisches Lager

In jedem Volk gibt es eine Anzahl von Bienen, die zum Bauen abgestellt sind. Sie schwitzen Wachs aus Drüsen an den Unterseiten ihres Hinterleibs. Die Baubienen hängen mit den Gliedmaßen ineinander verklammert in sogenannten Klettertrauben. Waben werden stets oben festgeheftet. Sie wachsen vor allem bei Schwärmen und Ablegern schnell. Bienen können in Nullkommanichts die fertigen Bauten umarbeiten. Das kann beispielsweise erforderlich werden, wenn übermäßig viele Drohnen im Anmarsch sind und für sie zusätzliche Zellen benötigt werden. Dann werden inmitten des bisherigen Baus für weibliche Bienen große Felder für männliche erstellt. Bienen werkeln, mit Ausnahme einzelner Fälle, gemeinsam. Die in den Stock gehängten Drohnenwaben haben bei mir keine Mittelwände. An ihnen sieht man die ursprüngliche Form.

Die Zellwände sind auf halber Höhe sehr dünn und werden oben, in der Draufsicht, von einem fast runden, stabilisierenden Wulst abgeschlossen. Um festzustellen, ob die geringe Wandstärke in der Mitte erreicht ist, las ich, drücken die Bienen mit dem Unterkiefer dagegen und messen mit den Fühlern, die Tastsinnesorgane enthalten, den Rückstoß. Schwingt die Wand nicht ausreichend, tragen sie weiter Wachs ab. Die Wandstärke beträgt an den dünnsten Stellen 72 Tausendstel Millimeter. Beim Bau einer Deutsch-Normal-Wabe setzen die Bienen insgesamt etwa 40 Gramm Wachs ein, wovon sie einen Teil aus der Mittelwand beziehen, und die Wabe kann etwa zwei Kilo Honig tragen.

Im Jahr 1998 bereitete ich eine Ausstellung mit Wachsschüppchen vor, realisierte sie aber nicht. Ich erwärmte das Wachs leicht und drückte versuchsweise kleine Plättchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich beabsichtigte, eine raue Menge davon herzustellen und sie in einer riesigen Form auszulegen. Allerdings ergab sich seither keine Gelegenheit. Diese Einfälle, die nicht verwirklicht wurden, sind ein plastisches Lager. Ich führe darüber Buch, erstelle so etwas wie eine Inventarliste und darin sind die möglichen Ausstellungen, die nur auf den geeigneten Raum warten, enthalten.

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