Monat: April 1992

Der erste Sommer

aus den Honiggeschichten

Es war ein Mittwoch, an dem Franz mir verkündete: „Am Samstag bekommst du Bienen.“ Ich war keineswegs sicher, ob ich das überhaupt wollte oder schon wollte. Aber er hatte beschlossen, dass es jetzt soweit war. Vielleicht ging ihm auch meine (…) abstrakte Fragerei auf die Nerven. Jedenfalls schlief ich drei Nächte nicht vor Aufregung. Ich war überzeugt, der Sache nicht gewachsen zu sein.

Im Akademiegarten hatte vor geraumer Zeit jemand ebenfalls Bienen gehalten. Es stand dort, (…) versteckt zwischen Büschen nahe der Kunststoffwerkstatt, ein kleiner aufklappbarer Bienenstand. Unsere Klasse war in der Baracke neben dem Hauptgebäude untergebracht, ein u-förmiger, aus Nachkriegsschutt errichteter Bau, der einen verwilderten und von Kunst-Schutt übersäten Garten umschloss. Dorthin stellten mir die Hausmeister auf Veranlassung von Franz den Bienenstand, direkt vor mein Atelier. Er war zwei Meter lang und drei Völker passten gut hinein, zur Not vier. Drei Jahre später, nachdem ich mit den Bienen die Akademie verlassen hatte, wohnte ein Stadtstreicher darin.

Giftblase

Am Abend des 23. Mai kam Franz in die Akademie und wir fuhren zu seinem Bienenhaus (…). Wir luden drei Stöcke in mein Auto und brachten sie in ihr neues Zuhause. Bienentransport ist immer aufregend, ganz gleich, wie lange man Bienen hat. Später, nachdem die Fluglöcher wieder geöffnet waren, standen wir im Dunkeln eine Weile zusammen, unterhielten uns und tranken Bier.

Wahrscheinlich redete ich von nichts anderem in diesem ersten Sommer, erklärte allen, wie aufregend und kompliziert es sei, Bienen zu halten und wie großartig ich mich fühlte, weil ich es endlich geschafft hatte, damit anzufangen. Dabei fürchtete ich mich hauptsächlich vor ihnen, ich fühlte mich wie ein Leichtgewicht, das gegen ein Schwergewicht in den Ring muss, und besonders hatte ich Angst vor den Stichen.

Franz hatte mir seinen alten Schleier gegeben und ich benutzte dicke Arbeitshandschuhe wie ein Maurer. Aber so gut ich mich auch schützte, es gelang den Bienen immer, eine Öffnung zu finden. Ich steckte die Hose in die Schuhe, das Hemd in die Hose, die Gummibänder des Schleiers spannte ich um meine Oberarme und die Eingänge der Handschuhe umwickelte ich mit Tesakrepp. Schon um mich bienenfertig anzuziehen, brauchte ich mindestens eine Viertelstunde. Dann stand ich vor dem offenen Stock und wusste nicht, was zu tun war. Zog mal diese Wabe heraus, mal jene, unentschlossen, ohne etwas zu kapieren. Bis die Bienen wütend wurden. Nach dem Stechen fühlte ich mich meistens wie bekifft. Im Speicher über meinem Atelier hatte ich ein paar alte Matratzen gefunden, dort legte ich mich hin, bis der Rausch vorbei war. Außerdem lief ich tagelang herum, als hätte ich schlimme Schlägereien gehabt, geschwollene Lippen, geschwollene Augen, die Hände doppelt so dick.

Dann kam der Tag, als mindestens zehn Bienen es schafften, alle Schutzmaßnahmen zu unterlaufen. Sie krabbelten in meine Handschuhe und stachen mich gemeinsam in die Handgelenke. Da beschloss ich, den Schutz aufzugeben. Ich zog die Handschuhe aus, durch die ich sowieso kein Gefühl hatte und ständig Bienen unabsichtlich zerquetschte, und nahm den Schleier ab, durch dessen dunkles Drahtvisier sich wenig erkennen ließ. Natürlich wurde ich zunächst mehr gestochen, aber es fing an, mir egal zu werden. Außerdem begann ich bereits, mit meinen Bienen zu sprechen. Viele Imker tun das, stellte ich später fest. Wahrscheinlich sagte ich ihnen zu diesem Zeitpunkt: Stecht mich, so viel ihr wollt, ist mir wurscht, ich mach trotzdem weiter.

Einige Zeit darauf versuchte ich sogar, ein Abkommen mit ihnen zu treffen: Sie dürfen mich stechen, wenn ich etwas falsch mache, aber nicht ins Gesicht. Sie halten sich jedoch nicht immer daran. Bienen riechen die Angst des Menschen und wenn sie nachlässt, sind sie weniger angriffslustig. Außerdem bildet sich beim Menschen nach häufigem Stechen eine Resistenz gegen das Gift. Und je planvoller und zügiger die Eingriffe erfolgen, desto weniger regen die Bienen sich auf. Davon aber war ich im ersten Jahr noch weit entfernt.

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