Autor: Christoph

Nisttürme

Die wild lebenden Honigbienen unterscheiden sich nicht von jenen, denen wir Unterschlupf gewähren. Ihre Rasse-Eigenschaften können durch Zucht beeinflusst werden, solange man ihrer habhaft ist. Aber sobald sie entkommen, hängen sie als Wildtiere im Baum. Leben sie wild, sind sie auf geeignete Wohnungen, wie es früher die Höhlen in Bäumen waren, angewiesen. Im Freien gehen sie im Winter ein, da sie zu viele Fressfeinde haben. In der Stadt, vermutete ich, sind die Chancen, einen geschützten Hohlraum zu ergattern, inzwischen größer als auf dem Land. Im Glücksfall finden die vorauseilenden und suchenden Spurbienen Behausungen, die ein Schwarm in Ruhe in Besitz nehmen kann. Häufig ziehen sie daher wieder in Bienenkästen ein, wo ein Imker sie betreut, und verwandeln sich quasi von selbst zurück in Haustiere.

Mein Projekt sah vor, Nisttürme für wild lebende Honigbienen aufzustellen. Die Plastik betont die Wehrhaftigkeit der Bienen und gleichzeitig ihr Angewiesensein auf Schutzräume. Der Mensch, den ich mir vorbei schlendernd dachte, kann über das Schauen Informationen aus der Anordnung beziehen. Im besten Fall erkennt er, dass es sich um ein Äquivalent handelt, von der wilden zur domestizierten Biene und zurück. Das Stipendium war für den städtischen Raum ausgeschrieben, speziell für Parks, und ich hatte sofort die entlegenen Spazierwege des nördlichen Englischen Gartens im Sinn. Ich wollte die schweren Betonringe von Abwasserrohren verwenden, etwa vier oder sogar fünf davon aufeinander gelegt, sowie eine runde Betonplatte als schirmenden Deckel, um die Proportionen von Litfaßsäulen nachzustellen.

Ins obere Segment, unerreichbar für unten stehende Personen, sollten nach drei Seiten zeigend, schießschartenartige, längliche Öffnungen in den Beton geflext werden. Sie sollten Anflughilfen für die Bienen bieten und das Nest durch einen schmalen Spalt erreichbar machen. Im Inneren wäre ein Korb gehangen, der drei gleich große, zu den Seiten hin geschlossene und nach unten durch eine Gaze belüftete Räume zum Nisten bereitstellen sollte. Die Bienen hätten sich ihr Nest im Wildbau angeordnet. Der eingetragene Honig wäre nicht geerntet worden. Da in der Stadt die Menge des Frühjahrshonigs meistens den Bedarf fürs Jahr deckt und da der Nistplatz begrenzt gewesen wäre, hätten sich umgehend Schwärme gebildet und hätten nicht lang zu suchen gehabt. Die Besiedelung der insgesamt fünf Säulen, die ich zunächst plante, wäre im Nu vollzogen gewesen.

Wie ich vermute, standen damals in der Außenwahrnehmung die Wehrhaftigkeit der Bienen sowie der Honig als maximale Süßspeise im Vordergrund. Um die Jahrtausendwende fing man an, die Bedrohtheit der Bienen durch Umweltgifte beziehungsweise die der sogenannten Umwelt selbst festzustellen, die Gesamtheit der Bestäuber mit ihrem Nutzen gegenzurechnen und daraus eine politische Forderung zu basteln. Der Konjunktiv im Text weist darauf hin, dass ich keine Fördergelder bekam. Allerdings verbleiben das abgebildete Gipsmodell mit Deckel sowie die Zeichnungen und Collagen. Sie sind sorgfältig eingelagert.

Obwohl die Arbeit über das Modellstadium nicht hinausgekommen ist, besteht sie fort. Auf lange Sicht scheint es beinahe unerheblich, ob das Projekt verwirklicht worden ist. Übrigens war ich später nicht sicher, ob der Wettbewerb selbst über die erste Planung hinausführte. Denn ich reichte zwar mein Modell und meine Zeichnungen und die dazugehörige Beschreibung entsprechend der Abgabefrist ein, doch ich erhielt den ganzen Packen schnell zurück, verbunden mit einer lauen Ausrede, und hörte nie wieder von der Sache.

Edward Steichen creator QS:P170,Q313899, Edward Steichen – Brancusi, als gemeinfrei gekennzeichnet

Categories: 1997

Projekt Honigladen

Eine prägende Besonderheit im Vorfeld dieser Ausstellung war, dass ich jahrelang im gegenüberliegenden Haus gewohnt hatte. War ich unten aus der Haustür getreten, war selbst ein flüchtiger Blick nicht umhin gekommen, die jeweils aktuelle Ausstellung zu streifen. Da der Raum im Vorderhaus liegt und ehemals ein Laden gewesen ist, mit ausgiebigen Schaufensterflächen und einem länglich geschnittenen Präsentationsraum, fiel es mir schwer, zu verstehen, warum diese örtliche Gegebenheit noch kein Künstler aufgegriffen hatte. War sie zu banal? Jedenfalls war in mir lange der Wunsch gereift, dort erneut eine Ladensituation zu inszenieren. Und als es dazu kam, überlagerten sich die künstlerischen Motive mit ganz pragmatischen, wie zwei sich ergänzende Schablonen, die erst übereinander gelegt ein vollständiges Bild ergeben. Ich hatte wirklich etwas zu verkaufen. Die Ausstellung wurde im Sommer des Jahres 1997 eröffnet. Ich hielt die Bienen im fünften Jahr, pflegte aber ein stiefmütterliches Verhältnis zu Honig. Die Eimer stapelten sich in meinem Atelier im Keller und standen unterm Bett. Andere schleppte ich später über einen großen Umzug hinweg mit. Zu dieser besonderen Präsentation arbeitete ich zumindest das Bestehende ganz auf. Ansonsten hangelte ich mich von Ausstellung zu Ausstellung und vertraute auf natürliche Absatzwege. Über Freunde und Bekannte verkaufte ich etwa die Hälfte der jährlichen Ernte. 20 Jahre später hat es sich so weit gesteigert, dass die Leute sich bei den Weiterverkäufern in Listen eintragen. Der Honig ist verkauft, bevor er geerntet ist.

Wie die Abbildung zeigt, stellte ich ein acht Meter langes Stahlregal auf und füllte es mit verschiedenen Sorten und Jahrgängen. Das Mengenangebot reichte von 500-Gramm-Gläsern bis zu mittelgroßen Eimern mit je 12,5 Kilogramm. Die gigantischen 40-Kilo-Gebinde, die wohl keiner auf dem Frühstückstisch haben will, stellte ich erst gar nicht hin, sondern füllte sie in Gläser und kleinere Eimer ab. Wie viel Honig schließlich im Angebot war, habe ich vergessen, aber es war ein sogenanntes Schwerlastregal. Dazu führte ich die üblichen Ladenöffnungszeiten ein und gab bereitwillig jedem Auskunft.

Die Sache lief nicht schlecht. Man kannte mich auf einmal.

„Scheuerecker, mhm? Ist das nicht der mit den Bienen?“

„Richtig. So ein großer mit halber Glatze.“

„Ist er nett?“

„Kann ich nicht sagen.“

Die Ausstellung als Laden im ehemaligen Laden war so angelegt, dass sie meine tägliche Anwesenheit einschloss. Manche kauften den Honig unbesehen, andere stellten nur stundenlang Fragen.

Categories: 1997

Propolisschwelle

Propolis ist das Harz verschiedener Bäume (unter anderem Birken, Buchen, Erlen, Pappeln, Kastanien und natürlich Fichten und die stark harzenden Bäume des Waldes), das die Bienen im Laufe des Sommers sammeln, es jedoch nicht im Honigmagen umarbeiten wie Nektar, auch keine Enzyme dafür verbrauchen, sondern mithilfe ihrer Kauwerkzeuge kneten wie Bildhauer und es dabei mit einem wechselnd hohen Anteil an Wachs versetzen. Wie ich las, soll es sich dabei um eine ungefähre Menge von 30 % handeln, dazu 5 % Pollen. Propolis wirkt antibiotisch, antiviral und antimykotisch und dient den Bienen dazu, in den Stock gelangende Keime, Bakterien, Viren oder Pilze abzutöten. Offenbar bildet die hohe Luftfeuchtigkeit im Stock in Verbindung mit den etwa 35° C Temperatur einen idealen Nährboden, den die Bienen damit stilllegen.

Gleichzeitig hatte ich eine größere (hier nicht gezeigte) Arbeit gemacht, die nur aus rechteckigen Blättern bestand, die mit selbst hergestellter Propolistinktur getränkt waren. Ich hatte die Flüssigkeit in eine der Plastikflaschen gefüllt, aus denen man Blumen besprüht, und sie brachte das Atelier zum Duften.

Bienen kleiden ihre Behausungen innen mit Propolis aus, dichten Ritzen ab und kleben Rähmchen fest. Störenfriede im Stock, Schnecken oder sogar Mäuse, die winters in den Stock gelangt und tot gestochen worden sind, die sie aber nicht hinausschaffen können, werden vollständig mumifiziert. Wie ich las, werden selbst die Innenwände der Zellen mit einem hauchdünnen Film überzogen. Und am Eingang in den Stock, wie gesagt, bringen sie eine winzige Schwelle an, über die sie krabbeln, um ihre Füße zu desinfizieren. Grob gesagt ist das ein antibiotischer Fußabstreifer. Die Idee der Schwelle veranlasste mich, sie in eine künstlerische Arbeit umzusetzen. Die Propolisschwelle soll aus Gips gegossen werden und anschließend durchtrocknen, damit sie saugfähig ist. Danach wird sie mit Propolistinktur besprüht. Die Arbeit ist nicht realisiert, was daran liegt, dass ich ihr eine hohe Wertigkeit zumesse. Ich fand nie einen Ort.

Die Literatur über Propolis füllt inzwischen eine Regalreihe. Es gibt zahllose Rezepte von Salben bis hin zu Lacken (für Geigen). Unter anderem kann man, zusammen mit Leinöl und vergälltem Alkohol, einen Anstrich herstellen, um hölzerne Bienenkästen außen zu imprägnieren.

Offenbar hängt die Neigung, zu kleben, auch von der Bienenrasse ab. In der Bienenzucht ist sie unerwünscht. Die Eigenschaft, weniger Kittharz zu produzieren, ist eines der erklärten Zuchtziele.

Die Harzgrundlage des Propolis ist kein körpereigener Stoff der Bienen. Dennoch wird es medizinisch als ihr hochwertigstes Produkt aufgefasst und es hat längst Eingang in die Naturheilkunde gefunden. pro polis, lernte ich, heißt vor der Stadt, auf Griechisch.

Der Geschmack lässt sich so beschreiben, dass man im hinteren Bereich der Zunge und im Rachen eine herbe, leicht scharfe Note erspürt. Als Nahrungsmittel würde ich es hingegen nicht bezeichnen.

Categories: 1998

Figurales

Eines Tages begann ich, durch die Wälder zu streifen und Harz zu sammeln. Die meisten Nadelbäume sind vom Sturm gebrochen oder zumindest verdreht. An den Stellen entlang der Risse ist Harz ausgetreten. Manchmal ist es bereits ausgehärtet, in anderen Fällen ist es blasig oder gar flüssig und wehe man bekommt es an die Finger. Man kann fast behaupten, dass die Bäume sich selbst verarzten.

Damals las ich, dass Propolis vorwiegend aus dem Harz von Pappeln besteht. Inzwischen scheint man das nicht mehr genau zu wissen. Manchmal bin ich überrascht, welche Wenden in der Bienenkunde möglich sind und welche Gewissheiten abgetragen wurden. Damals gab es ein zementiertes Wissen. Das bekam ich beigebracht. Inzwischen haben sich zu viele Menschen – wie es scheint vor allem Stadtbewohner – der Bienenhaltung zugewendet haben, das heißt über die vertretbaren Maßen hinaus. Die Forschung blieb ebenfalls nicht aus und fördert Erstaunliches zutage. Und es werden haufenweise Bücher geschrieben. Mit Propolis und starkem Alkohol erzeuge ich Tinkturen. Früher legte ich sie ins Handschuhfach des Autos, damit sie regelmäßig geschüttelt wurden.

(Ich machte mich natürlich über allerlei Formen von Materialien kund, die von Bäumen erzeugt werden, und kam auch auf Kautschuk, mit dem ich noch nie gearbeitet hatte.)

Mir ging es zunächst um das Harz. Ich betrachtete es isoliert und erkannte darin einen plastischen Werkstoff. Allerdings ist es, wie ich feststellte, leicht zerbrechlich und es ändert im Nachhinein weiter seine Form. Es ließ sich also etwas daraus machen, aber es würde nicht so bleiben. Ich begann zunächst damit, es bei Kälte in einem Mörser zu mahlen. Deshalb wirkt die Figur relativ einfarbig. Der Zerbrechlichkeit geschuldet ist die Form, in die ich es goss. Ich nahm die auf dem Foto zu sehende Madonnenfigur ab und baute eine simple Doppelform aus ungebranntem Ton. Den ließ ich lederhart werden und dichtete die Ränder ab, indem ich feuchten Ton darüber schlickerte. Die zwei Teile hielt ich mit ein paar Runden Bindfaden zusammen. Dann stellte ich sie mit dem Anguss nach oben in den Ofen. Er war auf 80° C bis 100° C eingestellt. Da konnte ich aber nur raten. Ich fügte das Pulver nach und nach hinzu und war erstaunt, dass die Form viel mehr davon fasste, als ich erwartet hatte. Vielleicht verdichtet es sich, wenn man es erhitzt. Nach geraumer Zeit schien die Obergrenze erreicht. Den Sockel, auf dem die Figur steht, benutzte ich zugleich als Angusstrichter. Man erkennt, wie nur die äußeren Ränder davon ausgebildet sind und sich das Material nach innen zurückgezogen hat. Danach legte ich das Ganze in ein Wasserbad, damit der Ton sich auflöste.

Zu dieser Zeit war ich häufig in Sizilien und bemerkte, dass zahlreiche Häuser eine kleine gemauerte Nische haben, in der eine Marienfigur steht, meist zusammen mit einem kleinen Strauß Plastikblumen. Die Menschen dort glauben an ihren Schutz. In Sizilien ist die Maria weit „populärer“ als die Christusfigur. Kommt man an Ostern in eine Kirche, stehen zwar im Hauptschiff der Altar und dahinter der junge Mann am Kreuz. Doch im Seitenschiff steht eine kleine Madonna und ist über und über mit frischen Blumen geschmückt.

Daher dachte ich: Die Madonnenfigur ist eine plastische Möglichkeit. Ich stellte die gereinigte Figur auf ein kleines Bord. Aber wie sich zeigte, neigte sie sich weiter und weiter nach vorn. Ich schliff fast jeden Tag ein wenig vom Sockel ab. Aber der Prozess nahm seinen Fortgang und es blieb mir nichts übrig, als sie hinzulegen.

Anfangs befragt man sich natürlich bang, ob man selbst gläubig ist, entweder insgesamt christlich oder nur marianisch, ob man die Marienfigur sozusagen aus dem katholischen Glaubenskompendium herausgelöst verehrt. Als Folge davon fragt man sich womöglich, ob man diese Skulptur überhaupt machen darf, wenn man nicht gläubig ist. Aber nach und nach wurde mir klar, dass das aus meiner Sicht eine unwichtige Frage ist. Als Bildhauer, stellte ich fest, interessierte mich das Figurale, aber ich ging kaum so weit, selbst Figuren zu modellieren. Nur anfangs meiner Zeit an der Akademie der Bildenden Künste griff ich auf Spaziergängen gelegentlich in Pfützen, nahm den Schlick auf und formte kleine Buddhafiguren, die ich anschließend auf die Lehnen von Parkbänken setze, von denen der nächste Regen sie wieder herunter waschen würde.

Categories: 1998

Der Stadtimker

Am ersten Oktober des Jahres 1998 wurde ein Rundfunkbeitrag mit dem Titel Der Stadtimker in Bayern2Radio ausgestrahlt. Der Urheber war Burkhard Mücke und ich war etwa eine Woche zuvor von ihm interviewt worden. Zum Glück hatte jemand alle ähs, die sich unwillkürlich in meine Rede geschlichen hatten, herausgeschnitten. Damals war das Thema Stadtimker überraschend, es war noch nicht virulent geworden und in die Mode der Balkonimker abgedriftet.

Eines Tages im Herbst besuchte ich Burkhard und seinen Freund John Ferguson, einen amerikanischen Biologen, auf deren luxuriös ausgebautem Hof in Niederbayern. Mir fielen sofort die zahlreichen Blumen auf, die in einem riesigen runden Beet in der Auffahrt noch blühten. Und ich fragte mich, wie John das hinbekommen hatte. Wir schritten das große Gelände, das zum Hof gehörte, gemächlich ab, stapften durch Matsch und liefen über gemulchte Brachflächen. Die Beiden machten kaum Aufhebens davon, aber es war schnell zu erkennen, dass der Grund in eine riesige experimentelle Gärtnerei umgewandelt worden war. John forschte an Pflanzen und natürlichem Dünger. Nachdem wir Kaffee getrunken hatten, nahmen Burkhard und ich den später ausgestrahlten Text auf. Wir saßen dazu an einem Tisch, von dem aus man in einen Wintergarten blicken konnte.

Burkhard hatte mit einem Kamerateam auch Filmaufnahmen am Bienenstock gedreht, doch sie waren nicht zu einem fertigen Fernsehbeitrag zusammengeschnitten worden. Er hatte vorgehabt, sie in der Sendung Querbeet zu zeigen, die regelmäßig seine Beiträge brachte. Er führte mich in ein Arbeitszimmer und öffnete einen riesigen Schrank, der voller Aufnahmen steckte, zog dieses und jenes Band heraus, alle waren säuberlich beschriftet, und schließlich händigte er mir das Rohmaterial aus, das sie von mir aufgenommen hatten. Doch ich war nicht interessiert. Wäre die Sendung im Fernsehen gelaufen, hätte ich sie mitgeschnitten und in einer Rundmail darauf hingewiesen. Doch bis dahin waren es unzusammenhängende Auszüge, denen ich nichts abgewinnen konnte. Er ließ mich allein, damit ich mir alles auf einem riesigen Bildschirm ansehen konnte. Indessen saß ich still auf einer dunklen Ledercouch und schaute aus dem Fenster und beobachtete, wie der Abend sich herein senkte.

Wieder später saßen wir zu dritt und aßen zu Abend. Es gab selbst gezogenes Gemüse, größtenteils sogar roh. Ich war erstaunt. In dem riesigen, komfortabel ausgebauten Hof wirkte es übermäßig spartanisch. Heute finde ich schade, wie wenig ich über Pflanzen wusste. Wir unterhielten uns bis in die Nacht und am folgenden Morgen fuhr ich ab.

Categories: 1998

Plastisches Lager

In jedem Volk gibt es eine Anzahl von Bienen, die zum Bauen abgestellt sind. Sie schwitzen Wachs aus Drüsen an den Unterseiten ihres Hinterleibs. Die Baubienen hängen mit den Gliedmaßen ineinander verklammert in sogenannten Klettertrauben. Waben werden stets oben festgeheftet. Sie wachsen vor allem bei Schwärmen und Ablegern schnell. Bienen können in Nullkommanichts die fertigen Bauten umarbeiten. Das kann beispielsweise erforderlich werden, wenn übermäßig viele Drohnen im Anmarsch sind und für sie zusätzliche Zellen benötigt werden. Dann werden inmitten des bisherigen Baus für weibliche Bienen große Felder für männliche erstellt. Bienen werkeln, mit Ausnahme einzelner Fälle, gemeinsam. Die in den Stock gehängten Drohnenwaben haben bei mir keine Mittelwände. An ihnen sieht man die ursprüngliche Form.

Die Zellwände sind auf halber Höhe sehr dünn und werden oben, in der Draufsicht, von einem fast runden, stabilisierenden Wulst abgeschlossen. Um festzustellen, ob die geringe Wandstärke in der Mitte erreicht ist, las ich, drücken die Bienen mit dem Unterkiefer dagegen und messen mit den Fühlern, die Tastsinnesorgane enthalten, den Rückstoß. Schwingt die Wand nicht ausreichend, tragen sie weiter Wachs ab. Die Wandstärke beträgt an den dünnsten Stellen 72 Tausendstel Millimeter. Beim Bau einer Deutsch-Normal-Wabe setzen die Bienen insgesamt etwa 40 Gramm Wachs ein, wovon sie einen Teil aus der Mittelwand beziehen, und die Wabe kann etwa zwei Kilo Honig tragen.

Im Jahr 1998 bereitete ich eine Ausstellung mit Wachsschüppchen vor, realisierte sie aber nicht. Ich erwärmte das Wachs leicht und drückte versuchsweise kleine Plättchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich beabsichtigte, eine raue Menge davon herzustellen und sie in einer riesigen Form auszulegen. Allerdings ergab sich seither keine Gelegenheit. Diese Einfälle, die nicht verwirklicht wurden, sind ein plastisches Lager. Ich führe darüber Buch, erstelle so etwas wie eine Inventarliste und darin sind die möglichen Ausstellungen, die nur auf den geeigneten Raum warten, enthalten.

Categories: 1998

Sommer 1999

Ab dem Sommer des Jahres 1999 verbrachte ich mehrere Monate allein im Hunsrück, in einem alten Haus. Einerseits war ich froh, einen grauenhaften Lebensabschnitt hinter mir gelassen zu haben, andererseits wusste ich nicht, wie es künstlerisch weitergehen sollte. Im Grunde musste ich ganz neu anfangen. Vergil hätte mich sicher mit dem Wanderer verglichen, der sich durch den dichten Wald kämpft. Die weite, offene Ebene war mir zwar in Aussicht gestellt und auf geografischen Karten verzeichnet. Aber augenblicklich sah es nur düster aus. An einem Tag wurde es besonders unerträglich und ich rief eine Freundin an, die ebenfalls als Künstlerin arbeitete. Ich schilderte ihr mein Verhängnis.

Sie sagte trocken: „Halte durch.“

Categories: 1999

Bienenwanderwägen

Um das Jahr 1999 wurde ich zu einem Wettbewerb eingeladen, er war ausgeschrieben worden, damit Künstler Ideen und Entwürfe zum sogenannten Nordwest-Sammelkanal ablieferten. Das war damals ein weitgehend fertiggestellter Kanal, der südwestlich beginnend nördlich um München herumreicht, um künftig Abwässer aufzunehmen. Die gedachte man schließlich durch eine Kläranlage im Norden Münchens, bei Eching, zu schicken und dann in die Isar zu leiten. Damit einher ging ein riesiges Bauprojekt, eine gewaltige Stadterweiterung nach Westen, etwa 60.000 Wohnungen, die den menschlichen Zustrom aufnehmen sollten. Um das Gut Freiham herum, das dort seit dem zwölften Jahrhundert steht, mit einer altbackenen Wirtschaft, einem Biergarten und Stallungen, wollten die Stadtplaner Hochhäuser errichten und auf den nördlich davon gelegenen, sich einfallslos hinziehenden Äckern ein Industriegebiet anlegen.

Im Norden der Stadt ließ sich hingegen nicht viel ändern, zumindest vorerst, da der Kanal nördlich vom Hasenbergl und der Panzerwiese, nördlich des Autobahnrings sogar, jedoch südlich der Schleißheimer Flugwerft erst durch das triste Ackerland um Hochmutting, dann durch Mischwald und schließlich durch eine karge Heide, die eine geschützte Landschaft ist, verläuft. Jedoch war der Kanal von vorne herein so groß ausgelegt, dass er auch Abwässer, die man nördlich aus der Stadt heraus leiten würde, aufnehmen können sollte. Der Bau war rechteckig, mit den Abmessungen von 5,60 Metern Höhe und 3,60 Metern Breite. Man hatte Anfang der neunziger Jahre damit begonnen und ihn im Jahr 1999 fertiggestellt. Als ich ihn mit anderen Künstlern zusammen besichtigte und über eine der Einstieg-Stellen in der Fröttmanninger Heide hinabkletterte, war ich beeindruckt von seinem Ausmaß. Diese Heide liegt, soweit ich weiß, innerhalb eines ehemaligen Bundeswehrgeländes, die Pflanzen sind teilweise selten und geschützt und sie siedeln sich nur spröde und über Jahre hinweg an, da der Boden völlig karg ist.

Rumänischer Wagen

Anlässlich eines Hochwassers im Jahr 2010 gab es eine immense Welle Beschwerden von Anwohnern, da ihre Keller überschwemmt worden waren. Ein unabhängiges Gutachten der Technischen Universität München bestätigte, dass beim Bau Fehler gemacht worden waren. Man fand heraus, dass der Kanal nicht nur Abwässer fortschaffte, sondern wegen baulicher Mängel bei starkem Regen wie ein Damm wirkte. Das Grundwasser konnte den Kanal nicht umströmen, denn das drumherum eingearbeitete Material war nicht ausreichend durchlässig. So zog sich diese ganze Geschichte hin, mit gerichtlichen Klagen, in denen die Anwohner Schadenersatz forderten. Im Jahr 2013 war der Kanal bereits ein zweites Mal saniert worden. Ein Bewohner hatte ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben. Letzte Berichte im Internet fand ich bis ins Jahr 2015, als wiederum ein drittes (noch unabhängigeres) Gutachten in Auftrag gegeben wurde. Jedoch wirkte das wie der Gong, der eine neue Runde einläutet. Anscheinend wurde in der Zeitung, wenn man etwas über den Münchner Westen las, nur über eine neue Volte in dem Fall berichtet.

Die eingeladenen Künstler ließ man Entwürfe und Modelle anfertigen. Meiner sah vor, dass etwa fünf bis zehn Bienenwanderwägen für Bienenhalter bereitgestellt würden. Ein Imker, sobald er sich meldete, bekäme einen Wagen zugeteilt. Im Gegenzug sollten die Imker dazu verpflichtet werden, mit ihren Bienen entlang des Kanalverlaufs zu wandern, was übers Jahr hinweg eine Reihe verschiedener Trachten einschließt. Um die Einstieg-Stellen herum ließen sich leicht Standplätze anlegen, beziehungsweise mussten sie nur ausgewiesen werden.

Auf einem Flohmarkt hatte ich eine Reihe von Automodellen gefunden. Darunter waren eine rosafarbene Ente und ein hellblauer Trabi. Von einem dritten Fahrzeug, einem Traktor, entfernte ich die Vorderachse. Die Räder steckten lose auf einer dünnen Eisenstange. Ich hatte zwei Löcher quer in den Unterbau meines Modells gebohrt. Dort hinein schob ich die Stange, zwickte sie in der richtigen Länge ab und klebte die Räder auf. Und oben auf der Grundplatte errichtete ich aus Aluminiumblechen das Modell eines der geplanten Wanderwägen.

Darin gab es den größeren Teil, der für Bienen gedacht war, etwa fünf bis acht Völker, und einen getrennten Raum, in dem Gerätschaften gelagert werden konnten und in dem geschleudert werden sollte. Im Grunde handelte es sich um teilweise ausrangierte Bauwägen der Stadt, die ohnehin beim Bau des Kanals ihren Dienst getan hatten. Sie sollten runderneuert und für die Bienenhaltung hergerichtet werden. Es steckte, sozusagen als Leckerbissen, eine Recyclingidee darin. Die Vorbereitung würde keine allzu massiven Eingriffe erfordern und schon gar keine in die Grundkonstruktion. Außen schließlich sollten die Wägen mit Aluminiumblech beschlagen werden, damit sie glänzen würden und für das Auge sofort kenntlich wären.

Neunzehntes Jahrhundert

Categories: 1999

Der Geist des Honigs

Vor Jahren, als wir am Tisch saßen, sagte ein Freund, der damals noch ein Jugendlicher war, unvermittelt: „apicultura ist der Geist des Honigs.“ Natürlich hatte er das aus einer Schnapswerbung, die im Fernsehen lief. „ … ist der Geist des Weines.“ Daher war ich nicht besonders erbaut, vielleicht sogar mehr verärgert als geschmeichelt. Und der Satz musste sich im Lauf der Jahre erst entschlacken und mir schließlich wieder einfallen, bevor er verwendbar wurde. Das Ereignis, rechnete ich aus, geschah im Jahr 1999. Deshalb kann ich nicht mehr ergründen, wie viel der Junge selbst von dem verstanden hatte, was er gerade vom Stapel gelassen hatte. Vielleicht wollte er mir in erster Linie einen Gefallen tun.

Categories: 1999

sagoma

Ausstellung in der Galerie Werkschau, München

Es gab eine Reihe von Hindernissen, die zu der Ausstellung sagoma führten. Eines davon, nicht unbedeutend, war, dass mir eine der beiden Hummeln fehlte, die ich, auf einen Silberbarren gelegt, zeigen wollte. Es ist gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der eine Hummel zu bieten hat. Mein Freund Uli Panick beispielsweise sagte sinngemäß: Das Bild mit der toten Hummel auf dem Fensterbrett steht mir klar vor Augen. Aber jedesmal, wenn ich hinschaue, ist sie nicht da.

Später lernte ich eine argentinische Goldschmiedin kennen, die in einem Restaurant aushalf. Sie sammelte Insekten und wollte ihre Hummeln mit mir tauschen. Gegen Honig. Also brachte ich einige Gläser Honig in das Restaurant und sie stellte mir in einer Plastikfilmdose Hummeln auf den Tresen. Wir unterhielten uns eine Weile, dann musste sie wieder in die Küche.

Neben mir am Tresen thronte eine dunkel gekleidete Frau mit starkem, schwarzem Haar, verlebtem Gesicht und einer kostbaren Tasche, die sie auf den Knien balancierte. Sie gab sich als Italienerin. Der Wirt stammt aus Italien und ferner der Koch. Der kam aus der Küche gewetzt, ließ sich einen Espresso aus der Maschine und schimpfte, weil jemand den Löffel in der Milchkanne vergessen hatte. Dann sprintete er zurück. „In Italien ein schwerer Fehler“, äußerte die Frau und deutete auf den Löffel. Sie sah nicht unbedingt sympathisch aus, aber ich dachte, vielleicht ließen sich Informationen, die ich noch brauchte, über das Wort sagoma einholen. Überraschend war, dass sie kaum eine Bedeutung direkt bestätigte, die ich im Lexikon gefunden hatte. Stattdessen berichtete sie, dass das Wort für einen toten Körper verwendet werde. Zur Unterstützung wiederholte sie mehrmals eine waagrechte Handbewegung. Ich dachte an die leibliche Hülle eines Gestorbenen.

Im Lexikon ist sagoma übersetzt mit

1. Gestalt, Profil, Form, Kontur und Umriss

2. (Zeichen-)Schablone

3. Zielscheibe

4. in figurativer Bedeutung: komischer Kauz, Komiker

Beim Googeln des Wortes sagoma wird man von einer weiteren Fülle an unerwarteter Information überrascht. Zum Beispiel finden sich die Seiten von Konzernen wie Sagoma-Industries, deren Gebiet mir schleierhaft geblieben ist. Es gibt diese und jene schrullige Seite, viele auf Italienisch, und schließlich blättert sich nach und nach der hitzige Diskurs über einen Vorfall auf, der den verstorbenen Papst betrifft. Am 2. April des Jahres 2007 fand in Beskid Zywiecki, das in der Nähe des Geburtsortes von Karol Woytyla liegt, eine religiöse Feier statt, und man muss gleich erfahren, dass es sich um den Todestag von Johannes Paul II handelt. Eine Gruppe von Gläubigen stand im Freien, wahrscheinlich wurde gesungen, eine Menge Menschen war anwesend und es wurde ein in der Folge hoch loderndes Feuer angezündet. Die Flammen züngelten mehrere Meter empor und ein polnischer Arbeiter fotografierte nebenbei mit seiner Digitalkamera, nichts Ungewöhnliches bis dahin. Dann durchstreifte die Uhrzeit den exakten Todeszeitpunkt des Pontifex und die Flammen verwandelten sich für einen Augenblick in einen großen, geisterhaften Schemen. Und man kann sagen: In diesem Augenblick begannen die Probleme. Denn die einen deuteten die Flammenform sofort als Figur, in der der verstorbene Papst ihnen erschienen war. Folglich: ein Wunder. Es war höchste Zeit, den Mann heilig zu sprechen. (Die Seligsprechung wäre ein Umweg, eine Zeitvergeudung durch bislang gebotenes kirchliches Abwarten. Hier sollten aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.)

Die Flammenerscheinung, die auf einem Foto zu sehen ist, wird im Italienischen als sagoma bezeichnet. Der Corriere della Sera übrigens druckte das Bild wenige Tage später ab, was vielen als Bestätigung galt. Der Vatikan allerdings zauderte, und ich kann mir vorstellen, dass den hohen kirchlichen Herren eine Erscheinung wie diese alles andere als angenehm war. Zusätzlich kam ein Haufen unliebsame Arbeit auf sie zu. Es musste beispielsweise die Echtheit der Aufnahme geprüft werden, was im Zeitalter der digitalen Bildmanipulation äußerst schwierig ist. Ferner musste geklärt werden, ob die Erscheinung wirklich als päpstlicher Auftritt zu deuten ist. Hier meldeten sich sarkastische Stimmen aus der italienischen Bloggerszene. Einer witzelte, die Flamme sei wohl die Folge eines Ozonlochs über Polen. Ein anderer antwortete, die Flamme sehe eher aus wie Obi Wan Kenobi, und man solle lieber den heilig sprechen. Das ist ein Witz, über den man mitten in der Nacht, wenn man plötzlich aufwacht, noch lachen kann. Denn Obi Wan Kenobi aus dem Filmmonument Star-Wars erteilt aus dem Jedi-Ritter-Jenseits als halbdurchsichtiger Schemen dem jungen Luke Skywalker entsetzlich weise Ratschläge. Auf einer weiteren Seite wird die tausendmal gesehene Tanzpose von John Travolta aus Saturday-Night-Fever in die Flamme hineininterpretiert. Auch das passt wie ein Maßanzug. Viele sehen in dem verstorbenen Papst sowieso einen Popstar.

Auf der Originalseite, in der es um die Flammenerscheinung geht, sind die aufgeregten Beteiligten zu sehen, zuvorderst natürlich der Arbeiter, und wie er seine Kamera, auf der wiederum das Feuerfoto abgebildet ist, ins Bild hält. Dazu der Bürgermeister, der Priester, allerlei wichtige Gäste und stolze Honoratioren.

Für das Verfahren der künstlerischen Aneignung, das auch in Bezug auf sagoma gültig ist, hat Manfred Ellenrieder vor einigen Jahren den Begriff Originalkopie geprägt. Er bezeichnet damit sowohl die Auswahl als auch die Umwandlung von vorgefundenem Material. Man balanciere dabei auf einem Grat, sagt er sinngemäß: links die Fremdheit des Materials, rechts das Verhängnis der Autorenschaft.

Die Arbeit mit der toten Hummel auf dem Silberbarren, das Kernstück der Ausstellung, war unverkäuflich. Doch zwischen einem Freund und mir entspann sich ein verwickeltes Gespräch, als wir auf den imaginären Preis zu sprechen kamen, den ein Künstler dafür verlangen müsste, sofern man vom gegenwärtigen Silberpreis ausgeht und die Galerie die Hälfte beansprucht. Das Ganze kam mir vor wie ein Gordischer Knoten.

Categories: 2007