Tage mit Erhöhter Schwerkraft

Gemeinschaftsausstellung mit Michael von Brentano in der Galerie Markt Bruckmühl. Rede zur Eröffnung Wilhelm Warning

Im Erdgeschoß präsentierten wir gemeinsam einen Raum. Im ersten Stock zeigte ich: Der Goldene Faden. Unterm Dach zeigte Michael seine Arbeit: Das Lager des Bildhauers oder Sprechen Sie laut und deutlich.

Der Goldene Faden

Der Titel ist eine direkte Anspielung auf den Roten Faden, der im übertragenen Sinn ein Leitmotiv bezeichnet. Eine verstecktere Anspielung ist der sogenannte Ariadnefaden. Er war der griechischen Mythologie zufolge ein Geschenk der Prinzessin Ariadne, Tochter des kretischen Königs Minos, an Theseus. Der fand den Weg durch das Labyrinth, in dem sich der Minotauros befand. Nachdem Theseus den Minotauros getötet hatte, konnte er entlang des Fadens, den er ausgerollt hatte, das Labyrinth wieder verlassen. Der Hinweis für die Verwendung des Fadens stammte von Daedalus, der auch das Labyrinth entworfen hatte.

Die Arbeit Der Goldene Faden war in Bruckmühl über ein Stockwerk ausgebreitet: drei Räume und ein Flur. Die schillernde Linie lief in derselben Höhe dahin, einmal rundum. Als ich in der Vorbereitungsphase aus einem Plan die Gesamtlänge aller Wände addierte, kam ich auf etwa 50 Meter. Natürlich täuscht diese Zahl, denn man quetscht nicht in jeden Winkel ein Blatt. Ursprünglich hatte ich sogar vorgehabt, immer wieder Strecken leer zu lassen. Aber bei der Hängung stellte ich fest, dass dafür die Räume zu verschachtelt sind. Es wurde mir stattdessen wichtig, den Eindruck von Fülle zu erzeugen. Und nach dem Aufbau blieb ein Konvolut zurück, das weitere zwei bis drei Räume ausgefüllt hätte.

Für den ersten und größten Raum bemühte ich die Arbeit zur Bienenanatomie, die im Jahr 2000 teilweise in der Offenen Galerie im Gasteig in München ausgestellt gewesen war. Damals hatte ich nur einen kleinen Teil der Blätter zeigen können. Auch diesmal reichte der Platz nicht im Mindesten und ich beschränkte mich auf einige Schlüsselmotive: die Samenblase der Königin, die Wahrnehmungsorgane einschließlich der Ganglien und verschiedene Muskulaturen. Zwischen diese schwarz-weißen Blätter voll ausgefallener, üppiger Formen montierte ich Geschenkpapiere mit Blumenmotiven

Der zweite Raum war still und zurückgenommen. Dort behandelte ich verschiedene Arten der Beute beziehungsweise deren Entwicklung vom Baumstamm zum Magazin sowie diverse Arten von Körben. Meine Aufarbeitung dieses Themas ist nicht abgeschlossen, sie ist weder systematisch noch erschöpfend, aber die Anzahl der Blätter sprengte bereits den Rahmen. Es war mein Lieblingsraum. Die Formate sind kleiner und die Bilder kompakter, die Aufnahmen sind schwarz-weiß, jedoch auf dem Farbkopierer vervielfältigt, wodurch eine latente, schwache Farbigkeit entsteht. Durch weitere und engere Abstände schälen sich Themengruppen heraus. Neben die überbordenden Naturformen ist die orthogonale Schlichtheit der menschlichen Formensprache gesetzt. Allerdings brach ich die Kälte des rechten Winkels, indem ich vorwiegend alte Kisten aus Holz zeigte.

Im Bienenstock fand, wie bereits erwähnt, die imkerliche Revolution durch den Einsatz beweglicher Holzstäbchen statt. Man legte sie in einem Abstand, den man als geeignet erkannt hatte, nebeneinander oben auf. Anschließend erweiterte man den Gedanken und benutzte Holzrähmchen. Bienen errichten ihren Bau nach fast jeder Vorgabe und es bedeutet, anders als behauptet, keine Härte für sie.

In den dritten Raum gelangte man durch den zweiten. Hier verwendete ich mit dem Rasterelektronenmikroskop aufgenommene und eingefärbte Blütenpollen in gigantischer Vergrößerung. Es war meine Hauptarbeit. Ich hatte die Anordnungen innerhalb jeden Blattes tagelang ausgetüftelt.

Die Motive sind wie meistens in umgebende Träger eingelassen. Diesmal jedoch besteht es aus Transparentpapier, das beidseitig mit klarsichtiger Klebefolie versiegelt ist. Die Proportion stellt die der Gläser beim Mikroskopieren nach. Dem hermetisch stillen Raum folgte ein knallbunter mit großen Formaten und spiegelnden Oberflächen. Da das Rasterelektronenmikroskop nur schwarz-weiße Bilder liefert, erarbeitet eine Person am Rechner eigens die Einfärbungen. Die tatsächlichen Farben lassen sich wegen der Winzigkeit der Partikel nicht erkennen. Betreffs der Färbung gibt es national unterschiedliche Auffassungen. Die Nordamerikaner, wie ich las, kolorieren die gleichen Aufnahmen in den schrillsten Farben. Bei uns spürt man, wie ich las, dem Wahrscheinlichen nach. Dennoch ist das Buch, aus dem ich die Bilder habe, ein einziger Farbrausch.

Categories: 2006