Die Freundin

Im Juni regnete es so gut wie nicht. Daher hatte ich lange das rückwärtige Fenster offen stehen. Durch das war wieder eine Orientalische Mörtelwespe in mein Zimmer geflogen gekommen und baute in meinem Bett, an einer Stelle, wo ich nicht lag. Allerdings drückte ich mich bei Schlafen ganz an den seitlichen Rand des Bettes und wagte nicht mehr, die Decke zu bewegen. Ich hatte – glaube ich – gelesen, dass veränderte Umstände sie dazu bewegen, sofort das Bauen einzustellen und sich abzuwenden.
Manchmal beobachtete ich sie. Einmal musste das Fenster morgens geschlossen bleiben. Als dann die Sonne heraus kam, öffnete ich es wieder und sie schoss sofort herein, als habe sie vor der Scheibe gewartet und herein gespäht.
Ich hatte also eine Mitbewohnerin. In gewisser Hinsicht betrachtete ich sie sogar als Freundin. Mir war an ihr und ihrer emsigen Tätigkeit gelegen. Manchmal, wenn ich im Cafè saß, wurde ich gefragt, wie es ihr ginge und was sie mache. Eine Frau konnte sich vor Lachen gar nicht beruhigen. Sie sagte, sie habe noch nie jemanden kennengelernt, der eine Wespe als Freundin hatte. Sie fand es erstaunlich, wie man einem Insekt im eigenen Bett derart viel Platz einräumen konnte.
Einmal verschob ich die Decke ein wenig. Außerdem war es kein Zustand, dass ich mich abends vorsichtig von der Seite her ins Bett schieben musste. Als die Wespe das am Folgetag sah, gab sie den angefangenen, fast fertigen Bau sofort auf und legte direkt daneben einen neuen an. Sie arbeitete emsig und vollendete ihn bis zum Einbruch der Dunkelheit beinahe vollständig. Am Folgetag blieb sie allerdings fort. Vielleicht war sie woanders hin gerufen worden oder es war Ruhetag, was ich aber keinen Augenblick glaubte. Ich machte mir stattdessen Sorgen. Am dritten Tag war sie wieder da. Sie erschien kurz, sah nach, ob alles beim Alten war und verschwand.
Im Übrigen bemerkte ich, dass sie nicht nur baute, sondern dass der Bezug eines der Kissen dunkel angespeichelt war (links oben im Bild), als habe sie dort angefangen und sich kurzfristig umentschieden. Denn die Gefäße waren fest an das benachbarte Stück Decke geheftet.
Unvermittelt baute sie ein viertes Stück, das aber auch offen blieb.
Dann allerdings kam der Tag, an dem ich die Überdecke endlich einmal neu ausbreiten musste. Ich schuf der Mörtelwespe zwar eigens einen Zugang zu ihrem Bau. Ich wusste, dass Hummeln durch lange, abwärts führende Pappröhren kriechen, um zu ihrem Nest zu gelangen. Aber sie kam herein geflogen, betrachtete sich die Bescherung, flog hinaus und kam nicht wieder.
Das Fazit war: Ein fertiges Gefäß, drei angefangene, aber nicht mit Brut belegte und nicht versiegelte.
Alle vier legte ich auf den Schrank und dachte: Das Frühjahr wird zeigen, wie weit sie mit ihrer Vermehrung gekommen ist. Allerdings war die verschlossene Zelle, wie ich im Herbst bemerkte, leer.
Ein Freund erzählte, dass sie in ihrem Haus Zwischenwände eingerissen hatten und ihnen tausende dieser Amphoren entgegen gerieselt waren.