Autor: Christoph

finnegans bees

Atelier in Zwischennutzung

Im Jahr 2011 mietete ich von befreundeten Architekten, die beide eine Professur in Südkorea antraten, deren Raum in einem Atelierhaus. Ich hatte mich während einer Offenen Ausschreibung selbst um genau diesen Raum beworben, ihn aber nicht bekommen. Ich spürte schnell dessen unsägliche Eigenschaft, im Winter komplett auszukühlen und im Sommer aufzuheizen. Ich fühlte mich, als sei ich entweder im Eisschrank gelandet oder wie Max und Moritz im Backofen. Die Wände waren dünn und das Dach aus Aluminiumblech. Ein immenser Teil davon bestand aus vielfach unterteilten, einfach verglasten Fabrikfenstern. Dreieinhalb Flächen lagen nach außen hin, was die schnelle Angleichung an die Außentemperatur erklärt. Und zu allem Überfluss trennte nur eine dünne Wand den Raum vom benachbarten Atelier. Dort schwärmten zwei junge Maler davon, wie es sein würde, wenn sie endlich berühmt wären. Vor einer internen Ausstellung sprachen sie von einem vollständigen Ausverkauf all ihrer Bilder. Später klagten sie, dass sie kein einziges verkauft hatten. In dem Atelierhaus fanden allerlei Umtriebe statt, ein großes Fest beispielsweise, aber ich beteiligte mich an nichts.

Eine meiner ersten Handlungen dort war, zwei Punkte an gegenüber liegenden Wänden festzulegen. Da hinein bohrte ich tiefe Löcher, klopfte Dübel hintennach und drehte dicke, verschlungene Haken ein. Daran befestigte ich eine Hängematte, die ich mir eigens gekauft hatte. Kam ich also in den Raum, fiel mein Blick zuerst auf diese weißgraue Hängematte, die dort sanft und einladend hing. Daneben stapelten sich einige Bücher, eines beispielsweise über die Monroe von ihrem zeitweisen Ehemann Arthur Miller. Auf all das ging ich zu und fand mich liegend, lesend und bald schlafend, dann wieder erwachend und so weiter. Ich war dem Sog der Hängematte erlegen.

Daneben stempelte ich dann doch. Ich hatte entdeckt, dass ein fanatischer Textarbeiter im Jahr 2005 eine Suchmaschine für Finnegans Wake ins Netz gestellt hat. Nun kam mir in den Sinn, einmal nachzusehen, wie oft die Worte: Biene, Honig, Bienenhonig, Bienenstock, Bienenvolk auf Englisch darin vorkommen. Ich stieß auf einen ganzen Haufen – sicher 40 Textstellen – die genaue Anzahl habe ich nicht im Kopf. Meine Arbeit lag vor mir. Als ein Freund mich besuchte, hatte ich gerade einige gestempelte Blätter der Arbeit finnegans bees aufgehängt und er war erstaunt, wie viel ich arbeitete.

Categories: 2011

kunstherberge birkenau

Gemeinschaftsausstellung, München

Im Jahr 2011 nahm ich an der Ausstellung kunstherberge birkenau Teil. Die Birkenau ist eine Siedlungs- und Straßenbezeichnung im Stadtbezirk Untergiesing, sagt uns Wikipedia, und weiter: „Das Gebiet zwischen Auer-Mühlbach und Isar war eine Lohe, also eine mit Birken bewachsene Wiesenlandschaft, die zwischen 1840 und 1845 bebaut wurde.“ (Wikipedia widmet dem gleichnamigen KZ einen eigenen Artikel.) Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Siedlung bereits nach München eingemeindet. Noch heute finden sich dort vereinzelt nur ebenerdige Wohnhäuser aus der ursprünglichen Bebauung.

Um zwei dieser Häuser handelte es sich. Sie hielten sich gerade noch so an den Nachbarhäusern fest und mussten abgerissen werden. Nach dem Titel lautete das Thema (womöglich geschichtsblind) recht simpel Vergänglichkeit und Werden. Der Organisator arbeitet gelegentlich mit einem Architekten zusammen, und der war für die neue Bebauung zuständig. Innen waren die Häuser völlig verbaut, sie waren dunkel und muffig, die Böden bestanden teilweise aus uraltem, gammligem Teppich, die Wände waren hinter den Tapeten feucht und in den Ecken schimmlig. Mir war lange nicht klar, was dort passend war. Dann bezog ich mich auf die Bienen. Sie bilden Innenräume, indem sie dort lebendige Strukturen erschaffen.

Die Arbeit, die ich anfertigte, besteht aus einer großformatigen, aber zarten, nur mit Bleistift gezeichneten Schrift über vier Offset-Bleche hinweg. Die Aluminiumbleche hingen dort wenige Zentimeter von der Wand entfernt. Die Lettern entstammen der Schriftfamilie Stencil. Ähnliche Typen werden häufig in dunklem Grün auf den grauen Grund von Schlachtschiffen gepinselt. Die Buchstaben werden von Stegen gehalten und sind dazu gedacht, ausgeschnitten zu werden. Der auf die Bleche geschriebene Satz lautete: con ape sì vola. In einer endgültigen Hängung sollen sie den ausgewählten Satz hinter sich mit Licht auf die Wand schreiben. An der Ausstellung nahmen zahlreiche Künstler teil, die ich kenne. Sie wechselten sich im Laufe einer Reihe von Eröffnungen ab und ihre Aufgabe war, die jeweiligen Räume zu bespielen. Den Platz, an dem ich ausstellen sollte, bekam ich allerdings zugewiesen. Er lag gleich neben einer Tür. Die Besucher traten ein und drängten sofort an den Platten vorbei. Die Arbeit wirkte luftig und martialisch genug, um etwas zu bedeuten. Und obwohl sie fast vier Meter breit war, würdigte keiner sie eines Blickes. Die dünne Bleistiftschrift darauf war zwar schwach zu erkennen, aber keiner besah auch nur das Ganze. Ich zweifle nicht, dass vorwiegend ein plakatives Auftreten wahrgenommen wird. Aber die gierige Art, wie die Besucher sich vorbeischoben, gab mir zu denken. Seltsamerweise bestätigte es mich in der Ansicht, dass es falsch war, an diesem Ort weiterzugehen, als bis zu einem vorläufigen Stadium. Ich musste mich deshalb einiger Kritik erwehren. Doch es wurde meine Art, das Wort Werden aufzufassen. Die Arbeit selbst sollte unfertig sein.

Categories: 2011

missing link

Auszüge aus einem Vortrag über Honig

Ab etwa Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der Ausdruck missing link geprägt und wurde kurz darauf zu einem feststehenden wissenschaftlichen Begriff. Er bezeichnet eine noch unentdeckte fossile Übergangsform zwischen entwicklungsgeschichtlichen Vor- und Nachfahren. Ihre Existenz besteht als evolutionstheoretische Hypothese und sie würde eine Lücke im Fossilbericht schließen. Von einem missing link spricht man, wenn das Verbindende, das man sucht, noch nicht gefunden ist. Der Fund hat Mosaikcharakter, er zeigt Merkmale sowohl der älteren als auch der jüngeren Form. Daher spricht man anschließend vom connecting link. Darwin und seine Vorgänger suchten nach dem Beweis, dass Mensch und Affe verwandt sind. Für eine direkte Abstammung lässt sich kein Bindeglied finden. Indessen gibt es einen gemeinsamen Vorfahren, den Menschenaffen, von dem wenige Exemplare leben. So lernten wir es in der Schule. Auch Bienen und Wespen sollen einen weit entfernten gemeinsamen Vorfahren haben. Es wird vermutet, die Bienen seien ursprünglich Fleischfresser gewesen, und sie sollen anschließend auf vegetarische Ernährung umgestiegen sein.

Zwischen den Pflanzen, den Bienen und den Menschen gibt es eine Mitte. Das gefundene Bindeglied ist der Honig. In unserem Fall ist der Stadthonig die Verbindung zwischen den Stadtbewohnern und dem städtischen grünen Raum. Honig zu essen, das wurde mir klar, vertieft das Interesse. Die Biene ist das Gelenk und der Honig die Anfütterungsspur für den Betrachter. In der Stadt weckt der Honig unter Umständen erst den zugeneigten Blick und verweist darauf, dass neben klassizistischen Häuserfassaden, den massenhaft auftretenden Autos, den Rolltreppen in eine Tiefe, aus der abgestandene Luft heraufgeschoben wird, jenes komplizierte Universum aus Flora und Fauna existiert.

Die Frage, was Natur ist, will ich dahingestellt sein lassen. Das Lexikon der Bienenkunde gibt darauf ebenfalls keine Antwort. In der Stadt München ist von einem Grünen Gürtel oder der Grünen Lunge die Rede und gemeint ist vorwiegend das Band, das den Fluss begleitet und sich im Norden ausweitet. Die Leute, die mich am Stand besuchen, sprechen unbekümmert von „Natur“ und meinen den Parallelraum, in dem Finken und Kleiber wohnen und Insekten aller Art nisten.

Die Tempelglocke schweigt

Doch ich höre den Klang noch

aus allen Blumen

Matsuo Bashō

Categories: 2011

Freitagsbeilage

Beilage zur Süddeutschen Zeitung, jeweils am Freitag

Die Süddeutsche Zeitung bringt wöchentlich ein Thema in ihrem Magazin. Es liegt ungefähr im DIN-A4-Format als Heft der Freitagsausgabe bei. Dieses Mal sollten Menschen portraitiert werden, die zuvor einen anderen Beruf ausgeübt haben, sich nun aber zu wertvollem Essen hingezogen fühlen und es selbst herstellen. Einer der Höhepunkte, nach meinem Ermessen, sind zwei ehemalige Studenten, die Gin brauen. Einige haben in wirklich fremden Berufen gearbeitet, eine Frau ist im IT-Marketing tätig gewesen, ein Mann, der zuvor Schauspieler gewesen ist, betreibt nun ein Restaurant. Auf dem Cover ist eine Frau mit Stirntuch abgebildet, die einen Nudelwalker in der Hand hält. Bei mir liegt der Fall anders, da die Bienen mir die Einfälle liefern. Das Vorher /Nachher ist nicht gültig.

Die Ausgabe erschien am 2. Dezember 2011.

Die Fotos sollten von einem außerordentlichen und berühmten nordamerikanischen Fotografen geschossen werden. Dazu aber schickte man als Vorhut einen jungen deutschen Fotografen. Der musste für den Amerikaner das Terrain sichten und es ihm vermittels eigener Aufnahmen kenntlich machen. Ich hielt diese Vorgehensweise für Unsinn. Und schließlich kam es so: Der Starfotograf war der SZ zu teuer (oder verweigerte seine Mitarbeit) und man zog sich auf die bereits bestehenden Fotos zurück.

Das Interview, ohne das eine Zeitung nicht auskommt, führte ein Bekannter, mit dem ich vor nicht langer Zeit ausführlich telefoniert hatte.

Categories: 2011

Fernsehbeitrag ZDF

Als mir der griffige Spruch mit den Bienen und den Popstars eingefallen war, wusste ich zwar, dass er Potential hatte, ahnte aber nicht, dass sogar ein popkultureller Fernsehbeitrag im Zweiten Deutschen Fernsehen herausspringen würde. Während das Fernsehen bei mir am Bienenstand drehte, wurden mir aus dem Off Fragen gestellt, die mich zu spontanen Aussagen verleiten sollten.

Vor der Kamera vertrat ich das Anliegen, dass für die Bienenforschung mehr Geld zur Verfügung gestellt werden müsste. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht der Beitrag eines Imkers im Netz erscheint, so verschroben er auch sein mag. Die Forschung müsse in die Lage gebracht werden, vertretbare Mittel gegen die Varroamilbe und Schädlinge, über die wenig publik geworden ist, zu finden. Aus dem öffentlichen finanziellen Haushalt könne mehr für diese Belange bereit gestellt werden.

Das setzt eine Änderung der Prioritäten voraus.

Der Beitrag selbst hatte natürlich keinen Makel. Er war perfekt in der Reihung von einprägsamen Bildern, unterschiedlichen Blickwinkeln, in Unschärfe, die langsam ins Scharfe gezogen wurde, in schnellem Vorlauf und einer perfekten Taktung. Aber die makellose Oberfläche, kann man umgekehrt folgern, ist der Makel.

Von diesem Drehtag blieb eine stille, paradox klingende Vermutung zurück, deren tiefere Bedeutung mir erst zwei Jahre später aufging: Wir nähern uns einem anvisierten Ziel schneller, indem wir nicht den direkten Weg nehmen.

Categories: 2012

Bienen sind die Popstars der Zukunft

Jubiläumsausstellung in der Werkschau Galerie, 20 Jahre apicultura

Während wir uns bezüglich der Biene mit unseren germanischen Wurzeln herumschlagen, mit Imme und Bien, bezeichnen die Italiener die Imkerei geschmeidig als Bienenkultur. Das hielt ich für ausbaubar, da der Kulturbegriff darin so mühelos zum Einsatz kommt. Was ist in diesem Fall Kultur, fragt ein Bienenlexikon und gibt sich selbst die Antwort: Haltung und Pflege.

Kultur beinhaltet allerdings viel mehr, das ahnt man. Der Kulturbegriff ist so weit, dass man seine Ränder nur unscharf sieht.

https://www.flickr.com/photos/saschapohflepp/, Dymaxion car photo, CC BY 2.0

Dymaxion Car von Buckminster Fuller. Die Außenhaut bestand aus Aluminium. Es funktionierte, wurde aber nie in Serie gebaut.

In der Ausstellung präsentierte ich eine Auswahl von Modellen, die zu völlig unterschiedlichen Zeiten entstanden waren. Ich legte sie nebeneinander auf ein Brett. Mir ging es darum, ihre Zeitgleichheit zu behaupten. Die Flugzeugmodelle beispielsweise klebte ich zwar eigens für diese Präsentation zusammen, die Grundidee dafür stammt aber aus dem Jahr 2007.

Categories: 2012

Winterarbeit Honigeditionen

Galerie Werkschau, München

Im Mai 2017 eröffnete in der Galerie Werkschau eine Ausstellung, in der alle Künstler vertreten waren, die bisher dort etwas gezeigt hatten. Es gab das zehnjährige Bestehen der Galerie zu feiern. Es sollte ein Galeriefest werden. Aber da es regnete, kamen wenige Besucher. Dagegen war in der Küche ein üppiges Büffet aufgebaut. Doch während Inge, die Galeristin, noch ihre Einführungsrede hielt, drängten viele in die Küche und fraßen das Büffet kahl. Als ich später dorthin kam, ragten zwei Stangen Baguette aus einem Topf, auf einem großen Teller lagen drei Oliven und ein wenig Joghurt mit Knoblauch dümpelte in einer enormen Schale.

Ich zeigte dort eine Reihe von Honigeditionen.

Mit Honigetiketten herumzuspielen ist eine der typischen Winterarbeiten. Man hat den Honig verarbeitet und in die Gläser gebracht und es geht um das Ausliefern. In diesem Fall drehte es sich um ein Sonderkontingent von zwei Schachteln kleiner Gläser, 250 Gramm, die ich eigens abgefüllt hatte. Mir lag im Sinn, für die Ausstellung eine Edition mit den entsprechenden Etiketten zu entwerfen. Einen verhaltenen Schritt, in dem ein wunderschönes Gedicht von Heine zum Einsatz gekommen war, hatte ich bereits im Februar des Jahres 2016 getan.

Ich befüllte eine Reihe von Gläsern zu 250 Gramm, was die Hälfte der ursprünglichen Menge ist. Bezüglich der kleineren Etiketten wählte ich aus mehreren Einfällen, insgesamt drei Themen, und fertigte jeweils eine Serie von acht Stück.

Das eine Drittel der Editionen besteht aus hellbraunen Packpapierstreifen mit Blumenbriefmarken und den jeweiligen Stempeln, fremden gemischt mit eigenen. Die Post gab, wie gesagt, die Blüten zwölf Jahre lang heraus (siehe: Postalisches Feld) und schob im Jahr 2010 quadratische Marken mit Italienerbienen dazwischen. Die sitzen mitten im honiggelben Blütenstaub. Die Bienen waren für emsige postalische Flüge kreuz und quer durch Deutschland ausgelegt. Der Brief kostete im Jahr 2010 noch immer 55 Cent. Einige der anonymen Schreiber in entsprechenden Foren beschwerten sich, dass für eine deutsche Briefmarke eine Italienierin posierte.

Anschließend ließ sich die Post dazu hinreißen, die nüchternen, aber umso romantischeren Blüten aufzulegen. Eines Tages, als ich auf dem Land festsaß und schier endlos auf einen Zug warten musste und sich ein Postamt neben dem Bahnsteig befand, stapfte ich hinein und sagte, ich wolle von jeder Blütensorte mindestens eine Marke kaufen. Zuhause stellte ich fest, dass der Beamte einige Werte weggelassen hatte. Vielleicht waren sie dort nicht vorrätig gewesen.

Eine dritte Quelle und somit die dritte Edition bildet ein Thema, das mich vor allem im Jahr 2016 beschäftigte. Es sind kleine, Filmchen auf youtube, die sich um die gärtnerischen Attitüden beziehungsweise Streiche des Rosaroten Panthers drehen. Ich schaute sie gemeinsam mit meiner Tochter an.

Categories: 2017

sculpture sonore

Vorrichtung zum Erzeugen einer Klangskluptur durch Bienensummen.

Cage stellte eines Tages Teeny Duchamp die Frage, ob es wohl sehr aufdringlich sei, ihren Mann zu bitten, ihm das Schachspielen beizubringen. Teeny antwortete lapidar: „Frag ihn.“ Cage fand sich von da an wöchentlich ein und spielte gegen den Meister. Man muss dazu vielleicht wissen, dass Duchamp auf professionellem Niveau spielte. Cage berichtet im Jahr 1992 in seinem letzten Interview, dass er kein einziges Mal gewonnen habe, allerdings nicht, weil es keine Möglichkeit gegeben hätte, sondern weil seine Absicht nicht im Gewinnen lag. Er suchte einfach Duchamps Gesellschaft. Er berichtet außerdem, dass Duchamp darüber erzürnt war. Ich vermute, dass Duchamp ein paar Mal absichtlich eine Öffnung ließ, Cage aber widerstand und nicht in die Lücke vorpreschte. Offenbar unterhielten die beiden sich außerhalb der ausgiebigen Schweigeperioden, die beim Schachspiel üblich sind, über Kunst. Duchamp wurde häufig präsentiert und organisierte Ausstellungen. Er hatte mithilfe des Zufalls komponiert, das war im Jahr 1912 gewesen, dem Geburtsjahr von Cage. Er setzte den Zufall als generierendes Prinzip ein, arbeitete jedoch nicht mit Halmen oder Münzen, also dem I Ging, sondern erfand auf subtile Weise eigene Möglichkeiten. Während Cage die I Ging-Nische besetzte, suchte Duchamp Gegenstände, denen gegenüber er völlig gleichgültig war. In Interviews mit Duchamp steht zu lesen, dass er die Wertschätzung von Cage erwiderte, er erwähnt besonders dessen Humor und die Leichtigkeit, dem Leben und der Kunst zu begegnen.

Erfahrungen wie diese veranlassten mich dazu, Geräuschen zu lauschen, und insbesondere solchen, die man nicht als musikalisch betrachtete. Der letzte dieser Versuche wurde ernsthaft für mich durch Marcel Duchamps Anmerkung über die sculpture sonore verändert, Klänge, die von verschiedenen Orten kommen und bleiben, erzeugen eine Skulptur, die andauert. Das eröffnete den Genuss an jener Art von Geräusch, im Gegensatz zu dem des Straßenverkehrs, da wir diese Art von Geräusch meistens ignorieren. Ich denke, die Tatsache, dass es bleibt, vermindert seine Wichtigkeit. Wohingegen Marcel anmerkt, dass es seine Wichtigkeit erhöht. Er teilt uns mit, dass wir mindestens drei dieser Klangquellen haben müssen und jede von ihnen verschieden, damit wir eine Skulptur bekommen, eine Klangskulptur. Was wahr ist. Wenn man zwei Geräusche hat, hat man nur eine gerade Linie zwischen ihnen; hat man aber drei, bekommt man unausweichlich eine Skulptur, in der man herumgehen kann.

(eigene Übersetzung)

Categories: 2017

Edition Karbit

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Mitte Dezember des Jahres 2017 fand die Edition Karbit in der Galerie Heufelder statt und ich war eingeladen. Das Verbindende zwischen den Künstlern war kein Thema, sondern das Format. Man sollte jeweils drei gleiche Blätter im Maß 22 Zentimeter mal 33 Zentimeter bearbeiten und vorlegen, hochkant oder quer. Eines davon wurde gerahmt und aufgehängt. Das Verhältnis empfand ich als unglücklich, unter anderem, da es so nahe am DIN-A4 liegt. Mich erstaunte, wie stark meine Arbeit zunächst beeinträchtigt wird, wenn das Format vorgeschrieben ist.

Fibonaccis frühe Schriften, die nicht erhalten sind, werden von anderen zitiert. Er versuchte, seine berühmt gewordene Folge anhand der Paarung von Kaninchen zu veranschaulichen. Allerdings sind nicht biologische Kaninchen gemeint, was für Verwirrung sorgte und dazu führte, dass man ihn (aus den falschen Gründen) widerlegte. Jedoch gibt es ein genetisches Vermehrungsbeispiel bei den Bienen, das unbestreitbar ist. Es konnte damals niemandem einfallen, da derartige Kenntnisse über Bienen noch nicht bestanden. Im Stammbaum der Drohnen liegt die Fibonacci-Folge vor. In dem der Arbeiterinnen kommt sie ebenfalls vor.

Drohnen sind für die Befruchtung einer jungen Königin aus einem anderen Volk zuständig. Dazu krabbeln sie aus dem Stock, schwingen sich hoch in die Luft und finden ohne vorherige örtliche Kenntnisse die Sammelplätze. Dort erreichen aber nur jene, die der Königin am weitesten hinauf folgen können, ihr Ziel. Das ist die Begattung und bedeutet zugleich ihren Tod, da ihr Begattungsapparat dabei herausgerissen wird. Drohnen lungern ab April untätig im Stock herum und werden zur Sonnwende hinausgedrängt oder abgestochen. Man nennt es die Drohnenschlacht, was dramatisch klingt. Unsentimental betrachtet, ist es ein Entschlackungsvorgang. Das Volk bereitet sich bereits auf den Winter vor. Drohnen haben keinen Stachel; wenn sie erdolcht werden, können sie den Bienen keine Gegenverletzungen beibringen. Sie sammeln keinen Nektar und können sich nicht selbst ernähren, damit die Bienen sie verhungern lassen können. Sie verrichten keine Dienste im Stock, um entbehrlich zu sein.

Da die Drohnen nur zwischenzeitlich hervorgebracht werden, kommen sie mir vor, wie eine vorübergehend männliche Ausstülpung des Bienenkörpers. Ich sehe sie als einen kurzfristig männlichen Anteil eines weiblichen Systems.

Categories: 2017